• 15. August 2025
  • Arbeitsrecht

Digitaler Zugang der Gewerkschaft zum Betrieb

Die im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung vorgesehene Regelung eines digitalen Zugangs der Gewerkschaften zum Betrieb ist nicht mehr realisiert worden. Das BAG (Urteil vom 28.01.2025 – 1 AZR 33/24) hat nun wichtige Fragen zum geltenden Recht geklärt.

Digitaler Zugang zum Betrieb als Teil der Koalitionsfreiheit

Die gewerkschaftliche Betätigungsfreiheit ist Ausfluss der Grundrechtsposition aus Art. 9 Abs. 3 GG. Das Grundrecht begründet eine gewerkschaftliche Betätigungsfreiheit. Dazu zählt auch die Information über die gewerkschaftliche Betätigung und Mitgliederwerbung im Betrieb. Deshalb ist es anerkannt, dass Gewerkschaften ein Zugangsrecht zum Betrieb haben, um auf sich aufmerksam zu machen (BAG vom 20.01.2009 – 1 AZR 515/08). Dies umfasst auch die Kontaktaufnahme über die betrieblichen E-Mailadressen, solange dies lediglich wenige Minuten der Arbeitszeit beansprucht (BAG, aaO). Es handelt sich jeweils um Einzelfallbeurteilungen aus der Abwägung der Betätigungsfreiheit der Gewerkschaft mit den kollidierenden Interessen des Arbeitgebers aus seinen Grundrechten und ggf. auch den Grundrechten der Mitarbeitenden.

Anspruch auf Zurverfügungstellung betrieblicher E-Mailadressen

Das BAG (Urteil vom 28.01.2025 – 1 AZR 33/24) hatte sich nun mit der Frage zu befassen, ob die gewerkschaftliche Betätigungsfreiheit auch einen Anspruch gegen den Arbeitgeber umfasst, nicht nur die Nutzung seiner technischen Ressourcen und die Aufmerksamkeit der kontaktierten Arbeitnehmer zu dulden, sondern der Arbeitgeber aktiv mitwirken muss. Die Gewerkschaft hatte gefordert, dass der Arbeitgeber – für ein Unternehmen mit mehreren tausend Beschäftigten – eine stets aktuelle Liste der betrieblichen E-Mailadressen zur Verfügung zu stellen hat.

Das BAG betont, dass es dabei nicht allein um die Frage der Duldung einer gewissen gewerkschaftlichen Betätigung geht, sondern vielmehr der Arbeitgeber zu einem aktiven Tun verpflichtet werden soll. Dies lässt sich aus dem Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG allein nicht herleiten, sondern bedürfe einer Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung. Die Rechtsprechung müsse aus dem Grundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG eine Handlungspflicht des Arbeitgebers zugunsten der Gewerkschaft ableiten.

Kontext zum Umgang mit der Auskunft

Dabei betont das BAG (Urteil vom 28.01.2025 – 1 AZR 33/24) zunächst, dass ein Anspruch auf Erstellung einer solchen Liste mit den betrieblichen E-Mailadressen im Wege der Rechtsfortbildung ausscheiden muss, wenn nicht zugleich über die Verwendung der E-Maildressen befunden wird. Die Auskunft kann nicht losgelöst von dem Umgang mit den beauskunfteten E-Mailadressen bewertet werden. Es bedarf vielmehr der konkreten Einbeziehung der beabsichtigten Verwendung der E-Mailadressen, um das Gewicht der gegenläufig einbezogenen Grundrechtspositionen des Arbeitgebers und ggf. der Mitarbeitenden berücksichtigen zu können.

Kollidierende Grundrechtspositionen

Das BAG betont in der Entscheidung, dass insbesondere bei E-Mailadressen, die als Benutzernamen des E-Mailaccounts den Vor- und Nachnamen der Mitarbeitenden umfassen, personenbezogene Daten, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und damit Grundrechte auch der Europäischen Grundrechtscharta tangiert sind. 

Zudem wird der Arbeitgeber dauerhaft unter Eingriff in seine wirtschaftliche Betätigungsfreiheit in die Pflicht genommen, wenn ein Anspruch auf eine stets zu aktualisierende Liste der E-Maildressen anerkannt würde.

Im Ergebnis führt das BAG eine Interessenabwägung – insoweit noch ohne konkrete Einbeziehung der Verwendung der E-Mailadressen – durch und lehnt den Anspruch auf Auskunftserteilung ab. Der Gewerkschaft stehe es demgegenüber frei, im Rahmen ihrer Zutrittsrechte zum Betrieb Mitarbeitende zu bitten, deren betriebliche E-Maildressen mitzuteilen. Das gilt jedenfalls, wenn zu einem erheblichen Teil der Arbeitszeit im Betrieb gearbeitet wird. Damit erreicht die Gewerkschaft auch die nicht bereits in der Gewerkschaft organisierten Mitarbeitenden. Dies tangiert zugleich auch die Grundrechtspositionen der Mitarbeitenden in deutlich geringerem Maße. Dann aber gibt es keinen Grund, eine Datenverarbeitung durch richterliche Rechtsfortbildung zu ermöglichen, die anderenfalls nach Art. 6 DSGVO nicht eröffnet wäre. Es gibt keinen grundsätzlichen Anspruch auf den – aus Sicht der Gewerkschaft – einfachsten Weg.

Anspruch bei gleichzeitiger Bestimmung der Verwendung?

Aber auch dann, wenn der Auskunftsanspruch auf die betrieblichen E-Maildressen konkret auf eine bestimmte Verwendung (maximale Anzahl versendeter E-Mails je Jahr und maximale Größe der jeweiligen E-Mail) begrenzt ist, lehnt das BAG (Urteil vom 28.01.2025 – 1 AZR 33/24) den Auskunftsanspruch ab, wenn er in Einzelfällen zu unzumutbaren Beeinträchtigungen kollidierender Grundrechtspositionen des Arbeitgebers führen kann.

Hierzu führt das BAG an, dass auch die Begrenzungen zu unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen führen können, wenn z.B. alle E-Mails eines Jahres an alle Beschäftigten innerhalb eines kurzen Zeitraums kumuliert abgesendet würden. Sofern solche Konstellationen nicht von vornherein ausgeschlossen sind, steht auch dies dem Anspruch entgegen.

Nutzung des arbeitgeberseitigen sozialen Netzwerks oder Verlinkung des Web-Auftritts der Gewerkschaft im Intranet

In der Entscheidung hatte sich das BAG weiter damit zu befassen, ob die Gewerkschaft einen Anspruch gegen den Arbeitgeber hat, dass die Gewerkschaft zur Kommunikation mit der Belegschaft das soziale Netzwerk des Arbeitgebers nutzt oder der gewerkschaftliche Web-Auftritt an prominenter Stelle im Intranet des Arbeitgebers verlinkt wird.

Auch hier entscheidet das BAG (Urteil vom 28.1.2025 – 1 AZR 33/24) anhand einer Abwägung der Einzelfallumstände. Für das BAG entscheidend ist beispielsweise bei einem Zugriff auf das soziale Netzwerk die Einbindung der Gewerkschaft in betriebliche Interna, die der Gewerkschaft auf diesem Wege zugänglich sind und die der Arbeitgeber nicht hinzunehmen hat. Des Weiteren – dies ist auch bei der Verlinkung über das Intranet prägend – stellt das BAG auf die unternehmerische Gestaltungsfreiheit der betrieblichen Ressourcen ab. Zudem ist für das BAG maßgebend, inwieweit eine solche Einbindung der Gewerkschaft eine quantitativ nicht mehr messbare Befassung der Belegschaft mit Beiträgen der Gewerkschaft während der Arbeitszeit veranlassen könnte. Die Ansprüche der Gewerkschaft wurden aus diesen Gründen abgelehnt.

Auswirkungen in der Praxis und Fazit

Arbeitgeber können aufatmen: Es gibt keinen grundsätzlichen Anspruch der Gewerkschaft auf Übermittlung betrieblicher E-Mailadressen, auf Zugang zu betrieblichen sozialen Netzwerken oder auf eine Verlinkung über das Intranet. 

Die stark einzelfallbetone Rechtsprechung macht generelle Aussagen über einen Anspruch im Einzelfall nicht möglich. Die Ausführungen des BAG zeigen jedoch, dass ein gewerkschaftlicher Anspruch eine grundsätzliche – auch in Ausnahmefällen – Angemessenheit der Abwägung divergierender Positionen unter Einbeziehung der Interessen des Arbeitgebers wie auch der Belegschaft erfordert. 

Eine solche Konstellation muss eine Gewerkschaft, die einen Anspruch erhebt, zunächst einmal sicher stellen. Die Anforderungen für die Gewerkschaft sind erheblich.