• 02. September 2025
  • Arbeitsrecht

Abflug aus dem Vorfeld? –Probezeitkündigung von „Vorfeld-Initiatoren“ einer Betriebsratswahl

Das Landesarbeitsgericht (LAG) München hat am 20. August 2025 entschieden: Der besondere Kündigungsschutz für „Vorfeld-Initiatoren“ einer Betriebsratswahl nach § 15 Abs. 3b KSchG greift nicht während der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG. Zudem kann das Recht, sich auf diesen Schutz zu berufen, verwirkt sein, wenn der Arbeitgeber nicht zeitnah über die Schutzvoraussetzungen informiert wird.


Was war geschehen?
Der Arbeitnehmer war seit 7. März 2024 als Sicherheitsmitarbeiter beschäftigt. Am 13. März, also nach nicht einmal einer Woche im Arbeitsverhältnis, ließ er notariell beglaubigen, dass er einen Betriebsrat gründen will. Am 20. März teilte er der Arbeitgeberin per E‑Mail seine Absicht mit und bat um das Verzeichnis der Wahlberechtigten. Darauf folgte am gleich am nächsten Tag die Probezeitkündigung durch die Arbeitgeberin – mit der Begründung, der Arbeitnehmer sei nicht als Sicherheitsmitarbeiter geeignet.

In der daraufhin erhobenen Kündigungsschutzklage berief sich der Arbeitnehmer auf verschiedene Gründe für die Unwirksamkeit der Kündigung, insbesondere auf einen Verstoß gegen das gesetzliche Verbot der Behinderung einer Betriebsratswahl gemäß § 20 Abs. 1 BetrVG. Erst mit Schriftsatz vom 15. Oktober – also über sechs Monate nach der Kündigung – berief er sich zum ersten Mal auf den besonderen Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 3b KSchG.

Entscheidung des LAG München
Die erste Instanz hatte der Klage noch stattgegeben. Der Arbeitnehmer habe gem. § 15 Abs. 3b KSchG als sogenannter „Vorfeld-Initiator“ einer Betriebsratswahl Sonderkündigungsschutz. Eine Frist, innerhalb derer sich der Arbeitnehmer auf diesen Schutz berufen müsse, gebe es nicht.

Das LAG hob die Entscheidung auf und urteilte zugunsten der Arbeitgeberin. Die Probezeitkündigung sei rechtmäßig. Der Schutz aus § 15 Abs. 3b KSchG gelte nach Auslegung des Gerichts nur für Kündigungen im zeitlichen Anwendungsbereich des KSchG – also erst nach Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG).

Außerdem habe der Arbeitnehmer den Schutz verwirkt: Wer sich darauf berufen möchte, müsse den Arbeitgeber „zeitnah“ darüber informieren, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3b KSchG vorlägen. Das müsse innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung, spätestens aber innerhalb von drei Monaten nach Abgabe der notariellen Erklärung geschehen.

Zwei Voraussetzungen für den „Vorfeld-Schutz“
Zusätzlich zu dem besonderen Kündigungsschutz für Initiatoren einer Betriebsratswahl (§ 15 Abs. 3a KSchG), führte der Gesetzgeber im Jahr 2021 den § 15 Abs. 3b KSchG zum Schutz sogenannter „Vorfeld-Initiatoren“ ein.  

Während „klassische“ Initiatoren ab der Einladung zur Betriebs- oder Wahlversammlung geschützt sind, greift der besondere Kündigungsschutz für „Vorfeld-Initiatoren“ noch früher ein. Er ist an zwei Voraussetzungen geknüpft: Zunächst muss der Arbeitnehmer tatsächlich eine Vorbereitungshandlung unternommen haben. Das können bereits Gespräche mit anderen Arbeitnehmern sein, um die Unterstützung für eine Betriebsratsgründung zu ermitteln oder die Kontaktaufnahme zu einer Gewerkschaft, um Informationen zur Betriebsratswahl zu erhalten.  

Nun lassen sich solche mitunter trivialen Handlungen im Streitfall von Arbeitnehmern recht leicht behaupten. Das Gesetz verlangt daher als zweite, – kumulative – Voraussetzung eine vom Arbeitnehmer verfasste Absichtserklärung zur Betriebsratsgründung, die von einem Notar öffentlich beglaubigt sein muss.

Der Kündigungsschutz beginnt mit der Beglaubigung durch den Notar und endet spätestens nach drei Monaten, wenn nicht zuvor bereits die Einladung zur Betriebs- oder Wahlversammlung ausgesprochen wurde.

Kein Sonderkündigungsschutz in den ersten sechs Monaten?
Anders als bei Initiatoren einer Betriebsratswahl sind die „Vorfeld-Initiatoren“ nur gegen ordentliche personen- und verhaltensbedingte Kündigungen geschützt. Betriebsbedingte Kündigungen sollen nach der Gesetzesbegründung ausdrücklich möglich bleiben.

Das LAG München zog daraus nun den Schluss, dass der besondere Kündigungsschutz auch nicht während der sechsmonatigen Wartezeit aus § 1 Abs. 1 KSchG gilt. Denn der Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 3b KSchG könne sich nur entfalten, wenn das KSchG in zeitlicher Hinsicht bereits Anwendung finde. Diese arbeitgeberfreundliche Auslegung drängt sich nicht gerade auf, zumal das BAG den Sonderkündigungsschutz aus § 15 KSchG eher weit auslegt und es dem Höchstgericht bei Entscheidungen zu anderen Sonderschutztatbeständen aus § 15 KSchG nicht darauf ankam, dass der Arbeitnehmer bereits dem regulären Kündigungsschutz unterliegt. Auch das Schrifttum ging bislang ganz überwiegend davon aus, dass der Schutz von „Vorfeld-Initiatoren“ nicht vom Ablauf der Wartezeit davon abhängt.  

Wer nichts sagt, der nicht gewinnt – Mitteilungsobliegenheit des Arbeitnehmers
Als tragender dürfte sich daher der zweite Begründungsansatz des LAG München erweisen: Danach habe der Arbeitnehmer seinen Sonderschutz jedenfalls verwirkt, weil er den Arbeitgeber nicht innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung, jedenfalls aber nicht innerhalb von drei Monaten nach Abgabe der Erklärung beim Notar darüber informiert habe, dass bei ihm alle Voraussetzungen (Vorbereitungshandlung + notarielle Absichtserklärung) für den Kündigungsschutz aus § 15 Abs. 3b KSchG vorlägen.  

Anknüpfungspunkt für diesen Begründungsansatz ist, der vom BAG entwickelte, allgemeine Rechtsgedanke, wonach sich ein Arbeitnehmer innerhalb angemessener Frist nach Zugang der Kündigung auf einen besonderen Kündigungsschutz berufen muss. So ist beispielweise für besonderen Kündigungsschutz Schwerbehinderter eine dreiwöchige Mitteilungsfrist anerkannt, die das BAG so im Gleichklang zur Frist für die Einreichung der Kündigungsschutzklage hergeleitet hat.

Diesen Richtwert von drei Wochen übernimmt nun auch das LAG München zur Mitteilungsobliegenheit für den Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3b KSchG – wie zuvor auch schon das LAG Thüringen im Januar dieses Jahres. Im vorliegenden Fall war diese Frist zweifelsfrei abgelaufen, sodass der Arbeitnehmer sein Recht, sich auf seinen Sonderkündigungsschutz zu berufen, verwirkt hat.

Praxishinweis
Das LAG München hat eine deutliche Position bezogen: Der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3b KSchG soll erst nach Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit greifen. Allerdings ist diese vermeintliche Klarheit für Arbeitgeber mit Vorsicht zu genießen. Die Revision für diese Entscheidung wurde ausdrücklich zugelassen. Ob das Bundesarbeitsgericht diesen Ansatz bestätigen wird, ist nicht ausgemacht.  

Jedenfalls aber können sich Arbeitgeber auf den Gesichtspunkt der Verwirkung berufen, wenn Arbeitnehmer ihren Sonderkündigungsschutz zu spät geltend machen.

Die Entscheidung verdeutlicht zugleich, dass auch Kündigungen in der Probezeit längst nicht trivial sind. Gerade in Fällen mit Bezug zu einer geplanten Betriebsratswahl ist daher besondere Vorsicht geboten. Wer den Eindruck erweckt, unliebsame Wahlinitiativen durch eine Kündigung „aus dem Weg räumen“ zu wollen, riskiert eine gerichtliche Auseinandersetzung mit ungewissem Ausgang.

Um sich hier rechtssicher aufzustellen sind Arbeitgeber gut beraten, auch während der Probezeit auf einen sauberen und nachvollziehbaren Kündigungsprozess zu achten. Gründe für die Kündigung sollten intern dokumentiert, mit HR abgestimmt und im Zweifel vorab rechtlich geprüft werden. Je transparenter die Entscheidungsvorbereitung erfolgt, desto besser lässt sich später belegen, dass die Kündigung auf sachlichen Erwägungen beruht und nicht willkürlich oder wahlbehindernd motiviert war.

Weiterführende Links

Pressemitteilung des LAG München vom 20. August 2025