- 26. Mai 2025
- Gesellschaftsrecht und M&A
Anforderungen an den Verteilungsmaßstab bei nicht ausreichender Versicherungssumme von D&O-Versicherungen
Bei Abschluss von D&O-Versicherungen und ihrer Verlängerung stellt sich stets die Frage nach der Höhe der Gesamtversicherungssumme. Im Versicherungsfall ist dieser Betrag von entscheidender Bedeutung. Häufig übersteigen nun die geltend gemachten Ansprüche – seien diese auf Kostenerstattung oder auf Regulierung von begründeten Schadenersatzansprüchen gerichtet – die Versicherungssumme beträchtlich. Leisten nun Versicherer an einzelne versicherte Personen, kann dies zur Folge haben, dass die Deckungssumme zulasten anderer versicherter Personen bereits verbraucht, mithin „erschöpft“ ist, so dass der Versicherer eine Zahlung mit der Begründung verweigert, die vereinbarte Deckungssumme sei anderweitig verbraucht worden. Stehen nun versicherte Personen ohne Versicherungsdeckung da, kann dies schnell katastrophale, ja existenzvernichtende Folgen haben. Dies wirft die Frage auf, welche Vorgaben die Versicherer bei der Verteilung der Versicherungssumme zu beachten haben. Obwohl diese Frage in der Praxis von erheblicher Bedeutung ist und in der juristischen Literatur kontrovers diskutiert wird, hatte die Rechtsprechung bislang kaum Gelegenheit zu einer Positionierung. Mit – wohl noch nicht rechtskräftigem – Urteil vom 29. November 2024 (Az. 7 U 82/22) hat das OLG Frankfurt a.M. nun erstmals richtungsweisende Grundsätze aufgestellt, wie der Versicherer eine unzureichende Versicherungssumme rechtssicher aufteilen kann. Der Senat stellt fest: Eine Verteilung nach dem sogenannten Prioritätsprinzip, bei dem auf den Zeitpunkt der Rechnungsstellung – d.h. der Geltendmachung eines Erstattungsanspruches gegen den Versicherer – abgestellt wird, ist rechtlich nicht zu beanstanden.
Der Fall
Im zugrunde liegenden Fall begehrte der Kläger, ehemaliger Chefbuchhalter der Wirecard AG, Leistungen von der beklagten D&O-Versicherung. Diese verweigerte die Zahlung mit der Begründung, die Versicherungssumme in Höhe von 15 Mio. Euro für die maßgebliche Versicherungsperiode sei jedenfalls seit Juni 2023 vollständig erschöpft. Die Beklagte hatte bereits andere Versicherte, welche ihre Rechnungen vor dem Kläger gestellt hatten, befriedigt, wodurch die Versicherungssumme vollständig aufgezehrt worden war. Die Beklagte berief sich in Folge dessen auf den Erschöpfungseinwand. Der Kläger berief sich im wesentlichen darauf, dass diese Art der Verteilung unzulässig sei, da sie ihn in seinem Deckungsanspruch gegen den Versicherer benachteilige.
Die Entscheidung des OLG
Das OLG Frankfurt trat der Argumentation der Beklagten bei und entschied, dass in Ermangelung spezifischer gesetzlicher oder vertraglicher Vorgaben zur Verteilung der Versicherungssumme „der Versicherer nur eine faire und sinnvolle Verteilung zu gewährleisten“ habe. Dem Versicherer steht folglich ein gewisser Ermessensspielraum zu, der nur durch das Verbot einer willkürlichen Verteilung begrenzt werden soll. Diesen Vorgaben soll jedenfalls bei Anwendung des sogenannten Prioritätsprinzips, wonach eine Verteilung nach der zeitlichen Reihenfolge der Versicherungsfälle erfolgt, genüge getan sein. Als Anknüpfungspunkt für diese Reihenfolge sei jedenfalls die Bezugnahme auf den Zeitpunkt der Rechnungsstellung nicht zu beanstanden, da dies vom Versicherer nicht steuerbar und damit nicht willkürlich sei. Andere Verteilungsmaßstäbe oder einer Verteilung nach den Regeln der Gesamt- oder Mitgläubigerschaft überzeugten den Senat demgegenüber nicht. Er erkannte keine überzeugenden Anhaltspunkte dafür, dass das Proportionalitätsprinzip, bei dem die Versicherungssumme im Verhältnis der geltend gemachten Beträge aufgeteilt wird, oder eine gleichmäßige Aufteilung nach „Köpfen“ im konkreten Fall Anwendung finden müssten. Lediglich eine in das Belieben des Versicherers gestellte Verteilung der Deckungssumme erachtete der Senat (selbstverständlich) als zu weitgehend und nicht vertretbar.
Fazit und Konsequenzen
Mit dieser Entscheidung schafft das OLG Frankfurt a.M. erstmals eine richterrechtliche Orientierungshilfe für die Praxis. Nach Auffassung des Senats dürfen Versicherer die Verteilung der Versicherungssumme an das Prioritätsprinzip knüpfen – jedenfalls dann, wenn dieses auf objektivierbare, nicht steuerbare Kriterien (wie beispielsweise den Zeitpunkt der Rechnungsstellung) abstellt. Zwar können wohl auch andere Verteilungsansätze als „fair und sinnvoll“ gelten, jedoch ist es nun nicht unwahrscheinlich, dass Versicherer – sofern nicht die jeweiligen Bedingungswerke Bestimmungen enthalten – bei der Verteilung ersichtlich nicht ausreichender Deckungssummen – vorrangig das Prioritätsprinzip anwenden dürften. Allerdings hat das OLG Frankfurt die Revision zugelassen, so dass abzuwarten ist, ob der Bundesgerichtshof dadurch die Gelegenheit erhalten wird, zu dieser praktisch höchst relevanten Frage abschließend Stellung zu beziehen.
Für Versicherungsnehmer und versicherte Personen bedeutet dies (unverändert): Zuvorderst ist zu prüfen, ob das Bedingungswerk der eingekauften D&O-Versicherung Regelungen für die Situation vorsieht, dass die geltend gemachten (und begründeten) Deckungsansprüche von versicherten Personen die Versicherungssumme übersteigen. Ist das nicht der Fall (oder ist – was wenig wahrscheinlich ist – ausdrücklich das Prioritätsprinzip vereinbart), sollte über den Makler eine Korrekturverhandlung versucht werden, und zwar möglichst dahin, ein Verteilungsverfahren zu vereinbaren, das für alle versicherten Personen gekürzte Deckungsansprüche für den Fall nicht auskömmlicher Versicherungssummen vorsieht.