- 17. November 2025
- Arbeitsrecht
BAG: Anspruch auf Entgeltdifferenz wegen Geschlechtsdiskriminierung
Das BAG hat mit seiner Entscheidung vom 23. Oktober 2025 (Az.: 8 AZR 300/24) eine wegweisende Entscheidung zum Thema Entgeltgleichheit getroffen. Ein direkter Vergleich mit einem/einer Kollegen/in anderen Geschlechts – der sogenannte Paarvergleich – reicht demnach aus, um die Vermutung einer geschlechtsbedingten Benachteiligung zu begründen. Anders als bisher verbreitet vertreten, müssen dafür weder große Vergleichsgruppen noch statistische Medianwerte herangezogen werden: bereits der konkrete Vergleich mit einem/einer Kollegen/in anderen Geschlechts kann ausreichen, um eine Vermutung zu erzeugen, die der Arbeitgeber im weiteren Verfahren widerlegen muss.
Sachverhalt
Die Klägerin forderte rückwirkend die Angleichung verschiedener Entgeltbestandteile ein. Sie verlangte von ihrem Arbeitgeber eine finanzielle Gleichstellung bei mehreren Entgeltbestandteilen gegenüber bestimmten männlichen Vergleichspersonen und berief sich dafür unter anderem auf Angaben des beklagten Unternehmens in einem sogenannten Dashboard, das im Intranet zur Erteilung von Auskünften im Sinne des Entgelttransparenzgesetzes diente. Die Einkommen einiger von der Klägerin herangezogener männlicher Kollegen lagen über dem Medianentgelt aller Beschäftigten desselben Hierarchieniveaus. Die Beklagte wandte ein, diese Kollegen verrichteten nicht die gleiche oder gleichwertige Tätigkeit wie die Klägerin. Zudem sei die Entgeltdifferenz auf Leistungsmängel der Klägerin zurückzuführen. Aus diesem Grund werde die Klägerin auch unterhalb des Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe vergütet.
Die Vorinstanz hatte die Klage zunächst mit dem Argument, dass einzelne Vergleichspersonen nicht ausreichten und eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung nachgewiesen werden müsse, abgewiesen.
Entscheidung
Das BAG hob diese Entscheidung auf und stellte klar: Ein konkreter Paarvergleich ist ausreichend, um die Vermutung einer Benachteiligung auszulösen. Die Größe der Vergleichsgruppe, statistische Werte oder Medianentgelte spielten hierbei keine Rolle. Sobald Beschäftigte darlegen könnten, dass ein/e Kollege/in anderen Geschlechts für gleiche oder gleichwertige Arbeit eine höhere Vergütung erhält, begründe dies die Vermutung einer Ungleichbehandlung, die der Arbeitgeber im Verfahren widerlegen müsse.
Entscheidend ist demnach insoweit nicht die formale Bezeichnung der Tätigkeit, sondern es kommt auf die tatsächlichen Anforderungen an die jeweilige Aufgabenstellung an: Qualifikation, Verantwortung, Belastung und Arbeitsbedingungen rücken damit in den Fokus, und schon der direkte Vergleich der hier weiblichen Arbeitnehmerin mit einem konkret benannten männlichen Kollegen reicht aus, um die Vermutung einer geschlechtsbedingten Benachteiligung zu begründen.
Praktische Auswirkungen
Als Folge der Entscheidung des BAG dürften die Erfolgsaussichten für Entgeltklagen steigen, denn die bisher verbreitete Praxis, auf größere Vergleichsgruppen oder Mediane abzustellen, ist mit diesem Urteil nicht mehr erforderlich. Umfassender statistischer Analysen bedarf es damit nicht mehr - interne Gehaltsinformationen (hier: aus einem internen Dashboard) können als hinreichend konkreter Anhaltspunkt ausreichen.
Das Urteil steht in engem Zusammenhang mit der EU-Entgelttransparenzrichtlinie (2023/970/EU), die Unternehmen verpflichtet, Tätigkeiten objektiv und geschlechtsneutral zu bewerten und gleiche oder gleichwertige Arbeit gleich zu entlohnen. Die Richtlinie schreibt unter anderem vor, dass bei einem Gender Pay Gap von 5,0%-Punkten oder mehr ohne hinreichende sachliche Rechtfertigung Maßnahmen zur Angleichung ergriffen werden müssen. Von dieser Schwelle losgelöst bleibt die Möglichkeit für Beschäftigte, den Ausgleich konkreter Entgeltdifferenzen zu fordern.
Die Entscheidung verdeutlicht aus Unternehmenssicht, wie zentral Transparenz und Nachvollziehbarkeit bei der Ausgestaltung des eigenen Vergütungssystems sind – dies nicht zuletzt in Bezug auf die Kommunikation innerhalb des Unternehmens, der ein zunehmend zentraler Stellenwert für zeitgemäße Personalpolitik und rechtliche Compliance zukommt. Insbesondere variable Entgeltbestandteile wie Boni, Sonderzahlungen oder individuelle Absprachen müssen auf nachvollziehbaren, sachlichen Kriterien beruhen. Ist keine klare Dokumentation für eine geschlechtsneutrale Ausgestaltung vorhanden, steigt das Risiko, dass die Vermutung einer Benachteiligung zulasten des Arbeitgebers greift. Qualifikation, Verantwortung, Belastung und Arbeitsbedingungen müssen systematisch erfasst und miteinander verglichen werden, damit Unternehmen sachlich begründete Entgeltunterschiede darlegen können.
Weiterführende Links: Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23. Oktober 2025 (Az.: 8 AZR 300/24)