- 21. November 2025
- Arbeitsrecht
Unzumutbares Arbeitsverhältnis durch Machtmissbrauch: LAG Köln bestätigt Auflösung
Nicht immer endet ein Kündigungsschutzprozess mit der einfachen Feststellung, dass eine Kündigung unwirksam ist. Wenn das Arbeitsverhältnis nachhaltig zerrüttet ist, eröffnet § 9 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) den Parteien die Möglichkeit, die gerichtliche Auflösung zu beantragen. Das Gericht kann dann das Arbeitsverhältnis beenden und zugleich eine Abfindung festsetzen. Mit Urteil vom 9. Juli 2025 (4 SLa 97/25) hat das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) einen solchen Fall entschieden. Es bestätigte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und sprach der Klägerin eine Abfindung in Höhe von über 68.000 Euro zu – rund das Vierfache der häufig zitierten „Regelabfindung“ (Faustformel: 0,5 Bruttomonatsgehälter pro Beschäftigungsjahr). Anlass für diese Entscheidung waren beleidigende und sexualisierte Nachrichten des Geschäftsführers sowie der Versuch, durch angedrohte arbeitsrechtliche Sanktionen Druck auf die Arbeitnehmerin auszuüben. Das Gericht stellte klar, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Klägerin unzumutbar sei. Für Arbeitgeber ist die Entscheidung ein eindringlicher Hinweis darauf, welches erhebliche arbeitsrechtliche und wirtschaftliche Risiko mit grenzüberschreitender Kommunikation durch Organmitglieder und Führungskräfte verbunden ist – insbesondere, wenn Machtpositionen zur Durchsetzung persönlicher Interessen missbraucht werden.
Sachverhalt
Die Klägerin war seit November 2019 bei der Beklagten beschäftigt und unmittelbar dem Geschäftsführer der Beklagten unterstellt. Nach zunächst kollegialem Umgang intensivierte sich die private Ansprache über Messenger Nachrichten. Im Februar 2024 eskalierte die Kommunikation zwischen dem Geschäftsführer und der Klägerin binnen weniger Tage. Auslöser war ein vom Geschäftsführer initiierter WhatsApp Austausch anlässlich eines anstehenden Kundentermins. In einer Sprachnachricht forderte er die Klägerin auf, „rockmäßig was Kurzes und Dekolleté mäßiges“, „rote Fingernägel, High Heels und rote Fußnägel“ zu tragen sowie „Haare [zu] machen“. Zur Begründung schob er vor, diese „Wünsche“ kämen von „Möchtegern Bankern“, nicht von ihm selbst, er müsse dann „die Kopfschmerzen aushalten, wenn du da bist“. Kurz darauf folgte die schriftliche Nachricht: „Gaaaaaaaanz wichtig. Nichts unter dem Rock anziehen.“ Als die Klägerin dies ablehnte, zog der Geschäftsführer sie vom Termin ab und wechselte den Ton. In weiteren Mitteilungen hieß es, „Will deine dumme hässliche fresse nicht sehen!!!!“. Weiter forderte er sie auf, Geschenke, den Firmenwagen und die Tankkarte zurückzugeben, und kündigte eine Gehaltskürzung an. Wenige Tage später fand die Klägerin eine vermeintliche Entschuldigungsgeste im Büro vor: Einen Blumenstrauß samt Karte mit der Frage nach einem gemeinsamen „Sauna /Thermenbesuch“. Die Klägerin lehnte die Einladung ab. Der Beklagte sprach kurz darauf die Kündigung aus.
Die Klägerin erhob sodann Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Bonn (Az. 1 Ca 456/24). Das Arbeitsgericht Bonn stellte die Unwirksamkeit der Kündigung fest und gab dem Antrag der Klägerin auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG statt. Die Beklagte legte Berufung ein, blieb vor dem LAG Köln jedoch weitgehend erfolglos. Das LAG bestätigte die Auflösung und setzte die Abfindung auf 68.153,80 Euro fest.
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar
Maßgeblich war die Bewertung, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände nicht mehr zumutbar ist. Nach § 9 Abs. 1 KSchG hat das Gericht das durch eine sozialwidrige Kündigung nicht beendete Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn dem Arbeitnehmer die Fortsetzung nicht zugemutet werden kann. Erforderlich sind dabei zusätzliche Umstände, die über die bloße Sozialwidrigkeit der Kündigung hinausgehen. Auflösungsgründe können sich aus den Modalitäten der Kündigung als solcher und aus weiteren Handlungen des Arbeitgebers ergeben, die mit der Kündigung einhergehen. Solche Umstände sah das Gericht hier in mehrfacher Hinsicht als gegeben an. Ausschlaggebend war, dass der Geschäftsführer seine Machtstellung missbrauchte, um private Interessen durchzusetzen und dabei arbeitsrechtliche Konsequenzen in Aussicht stellte. Die sexuellen Anspielungen, die beleidigenden Nachrichten sowie die unzulässigen Drohungen mit Gehaltskürzungen und Entzug von Arbeitsmitteln überschritten die Grenze des Zumutbaren deutlich. Auch die Tatsache, dass die Klägerin zuvor in den Nachrichten teilweise humorvoll reagiert hatte, änderte daran nichts. Entscheidend war die Eskalation ab Mitte Februar 2024, die nach Überzeugung des Gerichts zu einem irreparablen Vertrauensverlust führte. Daran konnte auch der Blumenstrauß auf dem Tisch nichts mehr ändern.
Auch sei die Klägerin nicht verpflichtet gewesen, den Kontakt durch technische Maßnahmen wie Blockieren der Telefonnummer zu unterbinden. Gerade die Abhängigkeit im Arbeitsverhältnis nehme ihr diese Freiheit. Wer auf eine zurückgewiesene private Annäherung mit arbeitsrechtlichen Drohungen reagiere, zeige, dass er auch in Zukunft bereit sei, seine Position zum Nachteil der Arbeitnehmerin zu missbrauchen.
Vor diesem Hintergrund erachtete das LAG die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses objektiv unzumutbar und dessen Auflösung nach § 9 KSchG als gerechtfertigt.
Erhöhung der Abfindung
Besondere Aufmerksamkeit verdient die Bemessung der Abfindung. Das LAG orientierte sich nicht an der häufig praktizierten „Regelabfindung“ von 0,5 Monatsgehältern pro Beschäftigungsjahr. Stattdessen setzte es zwei volle Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr an. Dies führte im konkreten zu einem Abfindungsbetrag von rund 68.000 Euro. Die Begründung: Zum einen sei die Kündigung grob sozialwidrig gewesen. Zum anderen habe das Verhalten des Geschäftsführers massive Ehrverletzungen und erhebliche psychische Belastungen der Klägerin nach sich gezogen. Das Gericht stellte fest, dass die Klägerin an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, die im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Geschehen stehe. Der Abfindung komme ähnlich dem Schmerzensgeld bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen eine Genugtuungsfunktion zu. Damit sei die Abfindung nicht nur als Ausgleich für den Arbeitsplatzverlust gedacht, sondern auch als spürbare Sanktion gegenüber dem Arbeitgeber, der die Situation schuldhaft herbeigeführt habe. Abmildernde Gesichtspunkte erkannte das Gericht nicht. Weder die Dauer der Betriebszugehörigkeit noch das Alter der Klägerin rechtfertigten eine Reduktion. Dass die Beklagte die behaupteten Pflichtverletzungen der Klägerin nicht substantiiert darlegen konnte, wertete das Gericht zusätzlich als Hinweis auf die Haltlosigkeit der Kündigung.
Weiterbeschäftigungsantrag steht dem Auflösungsantrag nicht entgegen
Ein zentraler Einwand der Beklagten war, dass die Klägerin zunächst auch einen Weiterbeschäftigungsantrag gestellt hatte. Nach ihrer Auffassung sei es widersprüchlich, einerseits Weiterbeschäftigung zu verlangen und andererseits Auflösung wegen Unzumutbarkeit zu beantragen. Das LAG wies diesen Einwand zurück. Der Antrag sei prozessual als Hilfsantrag zu verstehen, der nur für den Fall gestellt werde, dass das Gericht die Kündigung für unwirksam erkläre. Eine solche Vorgehensweise sei üblich und bedeute nicht, dass die Arbeitnehmerin tatsächlich zu einer Fortsetzung bereit sei. Im Gegenteil könne ein solcher Antrag parallel zu einem Auflösungsantrag bestehen, ohne dass darin ein treuwidriges Verhalten liege. Entscheidend sei allein die objektive Bewertung, ob das Arbeitsverhältnis zumutbar fortgesetzt werden könne.
Für die Praxis
Die Entscheidung des LAG Köln zeigt: Fehlverhalten von Geschäftsführern und Führungskräften ist nicht nur ein Compliance Thema, sondern kann unmittelbar zu hohen Abfindungsrisiken und zu gerichtlichen Auflösungen führen. Für Arbeitgeber und HR Abteilungen lassen sich mehrere Handlungsfelder ableiten:
1. Klare Leitplanken für Führungskräftekommunikation
- Verhaltenskodizes sollten ausdrücklich den Umgang mit Beschäftigten in digitalen Kanälen (WhatsApp, Teams, Signal etc.) erfassen.
- Sexualisierte oder zweideutige Anspielungen, Anforderungen an Kleidung mit sexualisiertem „Show Charakter“ und jede Verknüpfung mit dienstlichen Konsequenzen sollten unmissverständlich untersagt werden.
- Bei Geschäftsführer Verträgen und Führungsrichtlinien sollte das Thema „Missbrauch der Machtposition“ samt Konsequenzen (bis hin zur Abberufung) klar adressiert werden.
2. Verlässliche Beschwerdewege – auch gegen Organmitglieder
- Arbeitgeber sollten funktionierende Beschwerde- und Hinweisgebersysteme einrichten, um Fehlverhalten vertraulich und ohne Angst vor Nachteilen melden zu können. Das Hinweisgeberschutzgesetz sollte befolgt werden.
- In Konstellationen mit „Ein Mann Geschäftsführung“ braucht es einen alternativen Ansprechpartner (z. B. Gesellschafter, Aufsichtsorgan, externer Ombudsmann), um systemische Blockaden und Haftungsrisiken zu vermeiden.
- Dokumentation: Jeder Hinweis ist zeitnah zu erfassen, zu bewerten und mit klaren Maßnahmen zu hinterlegen – gerade mit Blick auf spätere Beweisfragen im Prozess.
3. Schnelle und sichtbare Reaktion auf Grenzüberschreitungen
- Sobald der Arbeitgeber von sexualisierten Nachrichten, Drohungen mit arbeitsrechtlichen Nachteilen oder herabwürdigenden Äußerungen erfährt, muss eine strukturierte Aufklärung unter Einhaltung rechtlicher Vorschriften wie Datenschutz etc. eingeleitet werden (Interviews, Sicherung von Chat Verläufen, rechtliche Bewertung).
- Arbeitgeber sollten Führungskräfte deutlich darauf hinweisen, dass die Verknüpfung persönlicher Interessen (z. B. „Einladung in die Therme“) mit arbeitsrechtlichen Entscheidungen (Entzug von Terminen, Gehalt, Dienstwagen) unzulässig ist und zu persönlichen, arbeitsrechtlichen Konsequenzen führt.
4. Risikobewusstsein für arbeitsrechtliche Konsequenzen schärfen
- Von Fehlverhalten betroffene Arbeitnehmer können sich auf verschiedene Arten und Weisen dagegen wehren, sei es im Falle von Kündigungen mit Kündigungsschutzklagen, Auflösungsanträgen nach § 9 KSchG oder Ansprüche auf Schadensersatz und Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Daneben kommt die interne Meldung, aber auch die Einschaltung staatlicher Stellen in Betracht, etwa durch Strafanzeigen oder durch Meldungen an Arbeitsschutz- und Aufsichtsbehörden.
- Die Entscheidung des LAG Köln macht deutlich, dass Gerichte in besonderen Fällen die Abfindung bei Auflösungsanträgen deutlich oberhalb der „Regelabfindung“ festsetzen können.
- Arbeitgeber sollten in Compliance-Fällen berücksichtigen: Ein gut strukturierter, frühzeitiger Vergleich bzw. eine Aufhebungsvereinbarung kann wirtschaftlich sinnvoll sein. Dies gilt auch vor dem Hintergrund von Reputationsrisiken.
5. Strukturen überprüfen, in denen alles „an einer Person hängt“
- In inhabergeführten oder sehr schlanken Organisationen kommt es häufig zu engen persönlichen Verflechtungen. Gerade hier sollten Gesellschafter und HR prüfen, ob ausreichende Kontrollen und Eskalationswege bestehen.
- Wo Geschäftsführung, Personalentscheidungen und faktische Kontrolle über interne Prozesse in einer Hand liegen, steigt das Risiko, dass Betroffene keine interne Anlaufstelle haben und frühzeitig den Weg über Gerichte wählen.
Das Urteil des LAG Köln ist damit ein deutliches Warnsignal für Unternehmen, in denen Kommunikationsgrenzen verwischen und Machtpositionen informell genutzt werden. Was im Alltag als „lockerer Ton“ verstanden wird, kann aus Sicht der Gerichte schnell als gravierender Machtmissbrauch mit erheblichen finanziellen Folgen gewertet werden. Arbeitgeber tun gut daran, ihre Governance Strukturen, Führungsleitlinien und Beschwerdeprozesse so aufzustellen, dass solche Konstellationen früh erkannt und konsequent adressiert werden.
Weiterführende Links
Landesarbeitsgericht Köln, 4 SLa 97/25