- 19. November 2025
- Arbeitsrecht
BAG: Kürzung variabler Vergütung für Zeiten von Arbeitsunfähigkeit ohne Anspruch auf Entgeltfortzahlung
Das BAG hatte sich in einer jüngeren Entscheidung (Urteil v. 02.07.2025 – 10 AZR 193/24) mit der Frage zu befassen, inwieweit Arbeitsunfähigkeit ohne Entgeltfortzahlungsanspruch nach dem Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ trotz (teilweiser) Zielerreichung eines Team-Ziels eine variable Vergütung beeinflusst.
Der Fall
Bei der Arbeitgeberin findet eine Gesamtbetriebsvereinbarung über variable Vergütung Anwendung. Danach besteht das Zieleinkommen aus festen und variablen Anteilen. Die variable Vergütung hängt von der Erfüllung von Produktionszielen ab und soll dem Vertriebserfolg Rechnung tragen. Die zugrunde zu legenden Produktionsziele werden für jedes Kalenderjahr in Gestalt einer Zielvereinbarung zwischen der Arbeitgeberin und den einzelnen Mitarbeitenden festgehalten. Kürzungsregelungen für Fehlzeiten oder im Falle eines unterjährigen Ein- oder Austritts enthält die Gesamtbetriebsvereinbarung nicht.
Im streitgegenständlichen Bezugszeitraum des Kalenderjahres war der Kläger insgesamt 191 Tage arbeitsunfähig erkrankt, davon 149 Tage ohne Entgeltfortzahlung. Die Arbeitgeberin zog von der auf Grundlage erreichter Produktionsziele bemessenen variablen Vergütung einen auf 149 Arbeitsunfähigkeitstage ohne Entgeltfortzahlung bemessenen Anteil ab.
Grundsatz: Variable Vergütung als Arbeitsentgelt
Das BAG geht im Ausgangspunkt davon aus, dass die variable Vergütung Arbeitsentgelt darstellt, welches im Austauschverhältnis zur Erbringung von Arbeitsleistung steht. Dem Arbeitnehmer wird infolge der Arbeitsunfähigkeit die Erbringung seiner Arbeitsleistung unmöglich, so dass grundsätzlich der Anspruch auf das Arbeitsentgelt als Gegenleistung entfällt. Für Zeiten ohne Entgeltfortzahlungsanspruch wird der Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht im Rahmen einer Entgeltfortzahlung aufrecht erhalten. Das BAG wendet dies auch auf die variable Vergütung an. Die Gesamtbetriebsvereinbarung sieht insoweit keine Ausnahme von dem Austauschverhältnis zwischen Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt vor.
Keine Notwendigkeit einer Kürzungsregelung
Einer ausdrücklichen Kürzungsregelung bedarf es dafür nicht. Der Wegfall des Anspruchs auf Arbeitsentgelt ohne Arbeitsleistung folgt unmittelbar aus dem Gesetz. Die variable Vergütung ist Bestandteil eines einheitlichen Zieleinkommens. Anhaltspunkte für eine abweichende Behandlung der variablen Vergütung finden sich in der Gesamtbetriebsvereinbarung nicht. Damit folgt aus den Regelungen der Gesamtbetriebsvereinbarung keine Ausnahme von dem Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“.
Abgrenzung zu Leistungen mit weiteren Leistungszwecken
Sofern eine variable Vergütung nicht nur Entgelt für Arbeitsleistungen darstellt, kommt diese Rechtsprechung nicht zum Tragen und bedarf es einer Kürzungsregelung. Das ist insbesondere der Fall, wenn eine variable Vergütung nach Zielen noch weitere Voraussetzungen, insbesondere an einen fortdauernden Bestand des Arbeitsverhältnisses aufstellt.
Mit solchen Regelungen versuchen Arbeitgeber, (zusätzlich) eine Bindung an das Unternehmen (Betriebstreue) herbeizuführen, indem eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses in bestimmten Zeitspannen zum Anspruchsverlust führen soll. In einem solchen Fall soll die variable Vergütung (zusätzlich) vergangene oder zukünftige Betriebszugehörigkeit belohnen, ungeachtet der Frage, ob ein solcher (zusätzlicher) Gratifikations- oder Sozialleistungscharakter zulässig wäre.
Nur bei einem solchen nicht rein arbeitsleistungsbezogenen Entgelt wäre eine Kürzungsvereinbarung zur Umsetzung von § 4a EFZG erforderlich. Gem. § 4a EFZG ist eine Vereinbarung über die Kürzung von Leistungen, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt, zulässig. Die Kürzung darf jedoch für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit ein Viertel des Arbeitsentgelts, das im Jahresdurchschnitt auf einen Arbeitstag entfällt, nicht überschreiten. Die Kürzung muss im Anwendungsbereich des § 4a EFZG vereinbart sein.
Eine rein arbeitsleistungsbezogene variable Vergütung ist demgegenüber keine Leistung, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt, sondern dessen Bestandteil. Das BAG stellt klar, dass die variable Vergütung nach der Gesamtbetriebsvereinbarung nicht (zusätzlich) an den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu einem bestimmten Stichtag oder an eine Rückzahlungsklausel gebunden ist. Vor diesem Hintergrund ist § 4 a EFZG nicht anwendbar. Weder bedarf es einer Kürzungsvereinbarung, noch gelten die quantitativen Grenzen des § 4 a EFZG für die Kürzung.
Abgrenzung zu individueller Zielerreichung
Die variable Vergütung nach der Gesamtbetriebsvereinbarung knüpft an Produktionsziele als Vertriebserfolg an. Dabei handelt es sich um ein Gruppenziel des gesamten Vertriebs und nicht um individuelle Leistungen der einzelnen Mitarbeitenden. Mangels Zuordnung zu einer individuellen Leistung brauchte das BAG nicht entscheiden, ob die variable Vergütung ggf. keiner Kürzung für die Arbeitsunfähigkeitstage ohne Entgeltfortzahlung unterlegen hätte, wenn in der eigenen Person des arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers trotz der Arbeitsunfähigkeitszeiten Ziele erreicht worden wären. Das BAG lässt ausdrücklich offen, ob eine solche Kürzung bei rein individuellen Zielen zulässig wäre.
Das LAG Hamm (Urteil v. 30.07.2020 – 18 Sa 1936/19) hat eine solche Kürzung bei individueller Zielerreichung jedenfalls bei Fehlen einer diesbezüglichen Kürzungsregelung abgelehnt. Soweit Mitarbeitende Ziele erreicht haben, stelle eine anspruchsmindernde Berücksichtigung von Arbeitsunfähigkeit eine grundlose Schlechterstellung gegenüber arbeitsfähigen Mitarbeitenden dar, die nach Zielerreichung ebenfalls nicht mehr auf die Zielerfüllung hinwirken bräuchten.
Fazit
Die Entscheidung des BAG schafft Klarheit. Das BAG grenzt den Anwendungsbereich von § 4a EFZG ab. Der Fall zeigt zugleich, dass „weniger mitunter mehr“ ist. Da namentlich insbesondere keine Versuche unternommen worden sind, die variable Vergütung mit einer Betriebstreue zu verknüpfen, bedurfte es einer Kürzungsregelung für die Berücksichtigung der Arbeitsunfähigkeit ohne Entgeltfortzahlung nicht.
Häufig versuchen Arbeitgeber, Bindungsregelungen mit leistungsabhängigen variablen Vergütungen zu verknüpfen. Ein derartiger „Mischcharakter“ wird von der Rechtsprechung inzwischen – außerhalb tariflicher Gestaltungen – grundsätzlich nicht mehr für zulässig erachtet (vgl. zu Allgemeinen Vertragsbedingungen u.a. BAG v. 13.11.2013 - 10 AZR 848/12; zu Regelungen in Betriebsvereinbarungen u.a. BAG v. 15.11.2023 - 10 AZR 288/22). Dennoch können solche – rechtlich nicht durchsetzbaren – Leistungszwecke schädlich sein, da sodann eine Leistung außerhalb der laufenden Vergütung i.S.v. § 4a EFZG nach dem (wenn auch nicht durchsetzbaren) Zweck einer Regelung gewollt sein kann, so dass eine Kürzungsvereinbarung (unter Beachtung der Grenzen des § 4a EFZG) erforderlich wird.
Arbeitgeber sind deshalb im Zweifel gut beraten, derartige Bindungsregelungen bei variablen Vergütungssystemen nur nach genauester Prüfung auf Angemessenheit im Einzelfall zur Anwendung gelangen zu lassen. Nur dann sind schädliche Folgewirkungen sicher zu vermeiden.