• 29. August 2022
  • Gesellschaftsrecht und M&A

Doch keine Entlastung des Geschäftsführers durch Feststellung des Jahresabschlusses

Das OLG Brandenburg hat am 29. Juni 2022 entschieden, dass allein die Feststellung des Jahresabschlusses bei einer GmbH nicht zu einem Ausschluss der Geschäftsführerhaftung führt (Az. 7 U 133/21) und damit die an die Entscheidung des OLG Düsseldorf (Az. 17 U 22/18) anknüpfende Diskussion voraussichtlich beendet.

Entscheidung
Dem Urteil des OLG Brandenburg lag zugrunde, dass der Geschäftsführer sich für den Zeitraum ab Dezember 2015 bis zu seiner Abberufung im Januar 2020 eigenmächtig ein überhöhtes Geschäftsführergehalt ausgezahlt hat. Die als Geschäftsführervergütung gezahlten Beträge und Vergütungskomponenten waren dabei stets ordnungsgemäß aus den Bilanzen der Gesellschaft ersichtlich, die jeweils in der ordentlichen Gesellschafterversammlung für die jeweiligen Geschäftsjahre gebilligt worden waren. Zudem hatte die Gesellschafterversammlung dem nun auf Rückzahlung der überzahlten Beträge in Anspruch genommenen Geschäftsführer für die Geschäftsjahre 2016 und 2017 die Entlastung erteilt.

Der Senat stellte zunächst fest, dass der Geschäftsführer für die Geschäftsjahre 2016 und 2017 nicht mehr von den Gesellschaftern in Anspruch genommen werden kann. Denn mit der nach § 46 Nr. 5 GmbHG beschlossenen Entlastung hätten die Gesellschafter dem Geschäftsführer einerseits das Vertrauen für die Zukunft ausgesprochen und andererseits auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen für den Zeitraum, für den die Entlastung erteilt wurde, wirksam verzichtet. 

Die Gesellschaft könne sich insbesondere nicht darauf berufen, dass aus der Bilanz die überhöhten Gehaltszahlungen nicht ohne weiteres erkennbar gewesen seien. Inhaltlich beziehe sich die Entlastung auf alle Geschäftsvorgänge, die für die Gesellschafter bei sorgfältiger Prüfung der ihnen bei der Beschlussfassung vorgelegten Unterlagen erkennbar gewesen wären. Da die tatsächlich gezahlte Gesamtvergütung im vorliegenden Fall aus den jeweiligen Jahresabschlüssen durch Addition ohne Weiteres ermittelt werden konnte, hielt das OLG Brandenburg die in Kenntnis der Bilanzen erteilte Entlastung insoweit für anspruchshemmend. Diesem Ergebnis stehe nicht entgegen, dass der Zahlung des überhöhten Geschäftsführergehalts ein rechts- und vertragswidriges Verhalten des beklagten Geschäftsführers vorausgegangen sei.

Ein rechts- und vertragswidriges Verhalten allein führe auch nicht – wie von der Klägerin vorgetragen – zur Nichtigkeit der Entlastungsbeschlüsse. Zwar sei die Nichtigkeit einer Entlastungsentscheidung nicht per se ausgeschlossen, hierzu sei aber erforderlich, dass dem Entlastungsbeschluss eine sittenwidrige Schädigung einer nicht zur Beschlussanfechtung berechtigten, dritten Personen innewohne, die in der vorliegenden Konstellation ausgeschlossen sei. In allen anderen Fällen, in denen es infolge der Entlastungsentscheidung bloß zu einer Billigung eines Gesetzes- oder Satzungsverstoß komme, sei ein Entlastungsbeschluss lediglich anfechtbar. Für die Beschlussanfechtung waren im vorliegenden Fall allerdings sämtliche Fristen bereits verstrichen; die Rückforderung der überzahlten Beträge für die Geschäftsjahre 2016 und 2017 war daher ausgeschlossen.

Ein anderes Ergebnis ergab sich für die eigenmächtigen Zahlungen in den Geschäftsjahren 2015 und 2018 bis 2020. Hier war durch die Gesellschafter lediglich die Feststellung der Jahresabschlüsse erfolgt, jedoch kein Entlastungsbeschluss gefasst worden. Der beklagte Geschäftsführer hatte hierzu die Auffassung vertreten, dass der Feststellung der jeweiligen Jahresabschlüsse ihm gegenüber die Wirkung eines Schuldanerkenntnisses bezüglich seines Gehalts als Geschäftsführer zukomme. Dieser Einwand griff jedoch nicht durch. 

Nach Auffassung des OLG Brandenburg stelle die Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung zwar einen konstitutiven Akt dar, durch den die Gesellschafter die Richtigkeit des Jahresabschlusses anerkennen. Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis komme jedoch in dieser Konstellation nicht in Betracht. 

Die Bilanzfeststellung sei regelmäßig als Vorgang zu verstehen, mit dem die Gesellschafter im Sinne eines Schuldanerkenntnisses Ansprüche zwischen sich und der Gesellschaft bestimmen. Sinn und Zweck der Feststellung sei aber vor allem die Fixierung der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft, um die Grundlage für die weitere Geschäftstätigkeit und die Gewinnverwendung festzulegen. Im Einzelfall komme zwar in Betracht, dass mit der Bilanzfeststellung ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis gegenüber gesellschaftsfremden Dritten einhergehe. Ist der Gläubiger aber zugleich Geschäftsführer, sei nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass ohne besondere Erörterung eine Festlegung der Höhe einer Forderung aus Drittgeschäften erfolgen soll. Vielmehr käme eine solche Feststellung nur ausnahmsweise in Betracht, wenn die Gesellschafter die Forderung entweder positiv erörtern oder ihnen bei der Bilanzfeststellung zumindest bewusst ist, dass Uneinigkeit in Bezug auf eine Verbindlichkeit besteht. Fehlt es aber – wie im entschiedenen Fall – an jeder Diskussion über die Höhe der Forderung, werden lediglich die tatsächlich geleisteten Zahlungen der Gesellschaft festgestellt.

Einordnung der Entscheidung
Inhaltlich knüpft die Entscheidung des OLG Brandenburg an die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 19. Dezember 2019 (Az. 17 U 22/18) an. In dem vom OLG Düsseldorf entschiedenen Sachverhalt hat sich erstmals ein OLG mit der Frage befasst, inwieweit die von den Geschäftsführern im Jahresabschluss zur Verfügung gestellten Informationen für die Entlastungswirkung herangezogen werden können. Hierzu hatte das OLG seinerzeit entschieden, dass jedenfalls diejenigen Informationen, die dem für die Entlastungsentscheidung in der Gesellschaft zuständigen Organ bei der Entscheidung vorlagen, für die Ermittlung der Reichweite der Entlastungswirkung zu berücksichtigen seien. Sofern sich dem jeweiligen Organ im Zusammenhang mit der Entlastungsentscheidung Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der vorliegenden Informationen derart hätten aufdrängen müssen, dass die Ausübung von Einsichts- und Auskunftsrechten geboten gewesen wäre, sei auch dies bei der Auslegung der Entlastungswirkung zu berücksichtigen.

Folgerichtig hat das OLG Brandenburg in Bezug auf die entscheidungserheblichen Entlastungsbeschlüsse für die Geschäftsjahre 2016 und 2017 in seiner Entscheidung dargelegt, dass bei einer Differenz zwischen der vertraglich geschuldeten Geschäftsführervergütung und der im Jahresabschluss ausgewiesenen Positionen in Höhe von ca. EUR 50.000 ein hinreichender Anlass zur Nachfrage für die Gesellschafter bestand. Es wäre daher zu erwarten gewesen, dass die Gesellschafter eine Erläuterung dieser Bilanzpositionen im Rahmen der Entlastungsentscheidung anfordern.

Mit dem entschiedenen Fall verfestigt sich eine Tendenz in der Rechtsprechung, Kontrollbefugnisse der Gesellschafter stärker ins Zentrum der Auslegung von Entlastungsbeschlüssen zu stellen. Dabei fokussieren sich die Gerichte zunehmend auf eine inhaltliche Bewertung der im Zusammenhang mit dem Entlastungsbeschluss zur Verfügung gestellten Informationen. Sofern sich aus diesen erhebliche Rückfragen aufdrängen, kann sich die Gesellschaft im Nachhinein nicht mehr darauf berufen, dass der Geschäftsführer die relevanten Informationen nicht hinreichend klar dargelegt habe. Die Entscheidung verdeutlicht damit noch einmal die Bedeutung einer sorgfältigen Dokumentation der zur Verfügung gestellten Informationen und Erwägungen im Zusammenhang mit einer Entlastungsentscheidung.

Der vor dem Hintergrund der Entscheidung des OLG Düsseldorf aus dem Jahr 2019 aufgekommenen Frage, ob auch der Billigung des Jahresabschlusses selbst eine entlastende Wirkung zukommt, hat das OLG Brandenburg mit dieser Entscheidung jedoch eine Absage erteilt.