• 03. August 2023
  • Gesellschaftsrecht und M&A

Frankfurt als Bezirk Berlins? – Örtliche Zuständigkeit in Gemeinden mit mehreren Gerichtsbezirken

Eine GmbH, die in ihrer Sitzgemeinde keine Geschäftsanschrift unterhält, hat einen allgemeinen Gerichtsstand an allen Amtsgerichten dieser Gemeinde. Soll gegen eine solche GmbH ein Verfahren eingeleitet werden, hat der Antragsteller zwischen diesen Gerichten ein Wahlrecht. Auf die tatsächliche Geschäftsanschrift kommt es nicht an.

Der allgemeine Gerichtsstand einer juristischen Person wird gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 ZPO grundsätzlich durch ihren Sitz bestimmt. Als Sitz einer Gesellschaft ist diejenige Gemeinde zu verstehen, den die Gesellschafter in der Satzung bestimmt haben. Hiervon zu unterscheiden ist die Geschäftsanschrift der Gesellschaft. 

Bis in das Jahr 2008 war als Sitz der Gesellschaft regelmäßig derjenige Ort zu wählen, an dem sich ein Betrieb oder die Verwaltung der Gesellschaft befand. Mittlerweile können die Gesellschafter über den Satzungssitz aber frei bestimmen. Dieser muss insbesondere nicht mehr in einem Zusammenhang mit einer Betriebs- oder Verwaltungsstätte stehen. Es ist nicht einmal erforderlich, dass eine Gesellschaft am Satzungssitz überhaupt noch eine zustellungsfähige Anschrift unterhält.

In rechtlicher Hinsicht bleibt der satzungsmäßig bestimmte Sitz allerdings maßgebend für die Bestimmung z.B. des Erfüllungsorts (§ 269 BGB), des registerführenden Handelsregisters (z.B. § 7 GmbHG), des Insolvenzgerichts (§§ 3, 4 InsO) oder des allgemeinen Gerichtsstands (§ 17 Abs. 1 ZPO). Wo aber ist eine Gesellschaft zu verklagen, wenn sie im Gerichtsbezirk ihres Sitzes keine Anschrift mehr unterhält und in diesem Gerichtsbezirk mehrere (Amts-)Gerichte existieren?

Ein Lehrbuchfall?
Nein! Dies musste erst kürzlich vom Oberlandesgericht in Frankfurt am Main (Az.: 11 UH 8/23) entschieden werden. Die dortige Antragsstellerin hatte zunächst im Mahnverfahren einen Vollstreckungsbescheid gegen eine GmbH mit Sitz in Berlin, die im Handelsregister von Berlin-Charlottenburg eingetragen war, erwirkt. Im Handelsregister war für diese GmbH als Adresse allerdings allein die Anschrift einer Steuerberatungsgesellschaft in Frankfurt am Main mit dem Zusatz „c/o“ eingetragen.

Mit Blick auf diese Anschrift beantragte die Antragstellerin die Pfändung und Einziehung von Forderungen der GmbH zunächst beim Amtsgericht Frankfurt. Da für entsprechende Entscheidungen aber nach § 828 Abs. 2 ZPO ausschließlich das Amtsgericht, bei dem der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, zuständig ist, beantragte die Antragsstellerin, nach richterlichem Hinweis auf den Satzungssitz der GmbH in Berlin, unverzüglich die Verweisung an das registerführende Amtsgericht Berlin-Charlottenburg.

Doch damit nicht genug – denn auch das Amtsgericht Charlottenburg hielt sich aufgrund der tatsächlichen Geschäftsanschrift für unzulässig. Da Berlin, wie die meisten deutschen Großstädte, über mehrere Amtsgerichte verfügt, wird hier regelmäßig eine Konkretisierung des Gerichtsbezirks erforderlich, die normalerweise über die Geschäftsanschrift vorgenommen wird. Da dies bei der fraglichen GmbH aber nicht möglich sei und andere Indizien für das Gericht nicht ersichtlich seien, richte sich die Zuständigkeit – so das AG Charlottenburg – gemäß § 17 Abs. 2 Satz 2 ZPO nach dem tatsächlichen Verwaltungssitz. Dieser sei, aufgrund der im Register angegebenen Geschäftsanschrift, in Frankfurt am Main zu vermuten.

Dieser Argumentation wollte das Oberlandesgericht in Frankfurt allerdings nicht folgen und stellte klar, dass eine Gesellschaft, die in der satzungsmäßigen Sitzgemeinde keine aktuelle Geschäftsanschrift unterhalte und deren Satzungssitz daher nicht auf einen dieser Gerichtsbezirke hin konkretisiert sei, einen allgemeinen Gerichtsstand an allen Amtsgerichten dieser Gemeinde habe. Wenn in dieser Konstellation gegen die GmbH ein Verfahren am allgemeinen Gerichtsstand eingeleitet werden soll, habe der Antragsteller ein Wahlrecht unter sämtlichen in Frage kommenden Gerichten in der Sitzgemeinde (§ 35 ZPO). Dieses Recht habe die Antragsstellerin mit ihrem Antrag auf Verweisung an das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg ausgeübt.

Fazit
Dass dieser Sachverhalt überhaupt einer Entscheidung durch das OLG bedurfte, erscheint ebenso kurios wie die Entscheidung folgerichtig ist. Schon aufgrund der eindeutigen satzungsmäßigen Feststellung steht ein Sitz einer Gesellschaft unzweifelhaft fest. Für ein Abstellen auf den tatsächlichen Verwaltungsort im Rahmen einer Zweifelsregelung bleibt damit kein Raum. Wie kurios die Rechtsauffassung des Amtsgerichts Charlottenburg hier war, verdeutlicht sich auch daran, dass sich der allgemeine Gerichtsstand für dieselbe GmbH in einer Streitigkeit vor dem Landgericht zweifellos am Landgericht Berlin befunden hätte. Ab 2024 wird es in Berlin übrigens auch zwei Landgerichte geben. Es bleibt also spannend…