• 11. Juli 2022
  • Vergaberecht

Krise vs. Wettbewerb: Das LNG-Beschleunigungsgesetz und seine Folgen für das Vergaberecht

Am 1. Juni 2022 ist das LNG-Beschleunigungsgesetz (LNGG) in Kraft getreten. Ziel ist es, so schnell wie möglich unabhängig von russischem Gas zu werden. Viele Kritiker befürchten, dass dies zu Lasten der Umwelt und des Klimas geschieht. Wir befürchten, dass darunter auch der Wettbewerb leiden und der Nutzen am Ende gar nicht so groß sein wird, wie erhofft. 

Für die Sicherstellung der nationalen Energieversorgung muss die zügige Einbindung von liquefied natural gas (LNG) (dt.: verflüssigtes Erdgas) in das bestehende Fernleitungsnetz bewerkstelligt werden. Das LNGG soll daher den umgehenden Ausbau der dafür erforderlichen LNG-Infrastruktur in Deutschland beschleunigen. Gem. § 3 LNGG dient die schnellstmögliche Durchführung der – in der Anlage 1 des Gesetzes bezeichneten – Vorhaben dem zentralen Interesse an einer sicheren und diversifizierten Gasversorgung in Deutschland und ist aus Gründen eines überragenden öffentlichen Interesses und im Interesse der öffentlichen Sicherheit erforderlich. 

Für die Umsetzung sieht das Gesetz auch im Vergaberecht verschiedene Erleichterungen und Rechtsschutzverkürzungen vor.

Wesentliche Änderungen sind in § 9 LNGG statuiert
Zentrale Vorschrift für Vergabe- und Nachprüfungsverfahren ist § 9 LNGG.

So sieht § 9 Abs. 1 Nr. 1 LNGG vor, dass für LNG-Vergaben keine Verpflichtung zur Losaufteilung und zur Förderung mittelständischer Interessen besteht. Hier muss man sich allerdings zwangsläufig fragen, ob diese Vorschrift nicht gegen das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot verstößt. Denn die Vergaberichtlinien ordnen ausdrücklich an, dass die Mitgliedstaaten bei der Auftragsvergabe die Interessen von mittelständischen Unternehmen zu berücksichtigen haben (Art. 18 Abs. 1 der Vergaberichtlinie 2014/24/EU, Art. 36 Abs. 1 der Sektorenvergaberichtlinie 2014/25/EU, Art. 3 Abs. 1 der Konzessionsvergaberichtlinie 2014/23/EU).  

Zudem wird durch § 9 Abs. 1 Nr. 7 LNGG das Vorliegen der Voraussetzungen der Dringlichkeitsvergabe gesetzlich angeordnet. Grundsätzlich ist die Dringlichkeitsvergabe nach § 14 Abs. 4 Nr. 3 der Vergabeordnung (VgV) nur im Einzelfall anzuwenden und dabei auch eng auszulegen. Hier sollen die äußerst dringenden Gründe für die schnelle Umsetzung der Vorhaben und die sonst eintretende Gefährdung überragender öffentlicher Interessen ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb und ggf. sogar nur mit einem Unternehmen (§ 9 Abs. 1 Nr. 9 LNGG) rechtfertigen.

Weiterhin sieht das Gesetz in § 9 Abs. 2 und Abs. 3 LNGG verkürzte Entscheidungs- und Beschwerdefristen vor. So muss die Vergabekammer statt in fünf Wochen nun in drei Wochen eine Entscheidung treffen. Diese Frist kann nur einmalig um höchstens zwei Wochen verlängert werden. Auch die Frist für die Einlegung einer sofortigen Beschwerde zum Oberlandesgericht wurde auf eine Woche verkürzt. Dem Gericht wird hier eine Entscheidungsfrist von fünf Wochen gesetzt. Diese Frist kann nur in absoluten Ausnahmefällen einmalig um maximal zwei Wochen verlängert werden.

Schließlich hat der Gesetzgeber erstmals von der Möglichkeit des Art. 2e Abs. 1, 2. Alt. der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG Gebrauch gemacht, wonach alternativ zur Erklärung der Unwirksamkeit eines Vertrages auch andere Sanktionen verhängt werden können. So sieht § 9 Abs. 1 Nr. 4 LNGG vor, dass das Vorliegen des besonderen Interesses nach § 3 LNGG in der Regel die Erhaltung des Vertrages begründet. Stattdessen kann eine Geldsanktion gegen den Auftraggeber verhängt oder die Verkürzung der Vertragslaufzeit bestimmt werden. Eine Geldsanktion ist dabei auf höchstens 15 Prozent des Auftragswertes begrenzt (§ 9 Abs. 1 Nr. 6 LNGG). Ob eine solche Regelung mit der Rechtsmittelrichtlinie vereinbar ist, ist durchaus zweifelhaft. Denn gem. Art. 2e Abs. 2 der Rechtsmittelrichtlinie müssen die alternativen Sanktionen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Es kann aber unterschiedlich beurteilt werden, ob die Begrenzung einer Geldsanktion auf lediglich 15 Prozent des Auftragswertes überhaupt eine abschreckende Wirkung haben kann. 

Beschleunigungsgesetz ohne Beschleunigungseffekt?
Das LNGG lässt ein hinreichendes Verständnis für die Praxis vermissen. Zu oft ist es nicht die Durchführung des Vergabeverfahrens, die einen erheblichen zeitlichen Aufwand erfordert, sondern vielmehr die Vorbereitung desselben. Die Erstellung der Leistungsbeschreibung, die rechtssichere Festlegung der Eignungs- und Wertungskriterien und die Erstellung der Vertragsmuster nehmen nicht selten die meiste Zeit in Anspruch. Hier kommt insbesondere hinzu, dass die LNG-Terminals mitsamt ihrer Anbindung so komplexe Anlagen darstellen, dass die Erstellung dieser Unterlagen so viel Zeit erfordern wird, dass sich die Beschleunigungseffekte des LNGG auf die Gesamtverfahrensdauer kaum auswirken dürften.

Zudem dürfte das Gesetz – wie dargestellt – jedenfalls teilweise gegen Unionsrecht verstoßen. Wenn die Vergabekammern und Oberlandesgerichte ebenfalls Zweifel an der Richtlinienkonformität einiger Normen haben sollten, würde das Verfahren ausgesetzt und die Fragen dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Das führt dann zum Gegenteil einer Verfahrensbeschleunigung, nämlich zu einer Verzögerung, die sich über viele Monate hinweg erstrecken kann.