- 10. September 2025
- Arbeitsrecht
Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder
Die Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder ist seit dem Urteil des 6. Strafsenats des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10.01.2023 (6 StR 133/22) in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Danach kann der objektive Tatbestand der Untreue nach § 266 Abs. 1 StGB auch erfüllt sein, wenn ein Vorstand oder Prokurist einer Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen das betriebsverfassungsrechtliche Begünstigungsverbot aus § 78 Satz 2 BetrVG einem Mitglied des Betriebsrats ein überhöhtes Arbeitsentgelt gewährt. Für Geschäftsführer einer GmbH gilt selbstverständlich Entsprechendes.
Im Nachgang zu der Entscheidung des BGH haben zahlreiche Unternehmen zum Schutz vor Strafverfolgung ihrer Führungskräfte die Vergütungen freigestellter Betriebsratsmitglieder reduziert, was diese wiederum oftmals nicht hingenommen haben. Das blieb auch der Politik nicht verborgen. Der Gesetzgeber hat hierauf mit dem am 25.07.2025 in Kraft getretenen Zweiten Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes reagiert und in § 37 Abs. 4 und § 78 Satz 3 BetrVG klarstellende und ergänzende Regelungen aufgenommen.
In vier mit Spannung erwarteten Urteilen hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) am 20.03.2025 über Rückforderungsansprüche einer Arbeitgeberin wegen vermeintlich zu hoher Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder entschieden. Hierbei hat es seine bisherige Rechtsprechung fortgeführt und insbesondere zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast richtungsweisende Entscheidungen verkündet. Eine endgültige Sachentscheidung war dem BAG nicht möglich, weshalb die Sachen an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen wurden.
Unterscheidung zwischen Mindestentgeltgarantie nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG und fiktiver Karriere nach § 78 Satz 2 BetrVG
Im Ausgangspunkt stellt das Gericht klar, dass zwischen den Ansprüchen eines freigestellten Betriebsratsmitglieds auf eine Vergütungserhöhung auf Grundlage der Mindestentgeltgarantie nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG und auf Grundlage einer fiktiven Karriere nach § 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 611a Abs. 2 BGB zu unterscheiden ist.
- Eine Erhöhung der Vergütung eines Betriebsratsmitglieds nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG ist unter dem Gesichtspunkt der betriebsüblichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer geboten;
- demgegenüber knüpft § 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 611a Abs. 2 BGB daran an, dass dem Betriebsratsmitglied eine berufliche Entwicklung zu gewährleisten ist, die derjenigen entspricht, die es ohne Amtstätigkeit durchlaufen hätte.
Prozessual bilden die beiden Ansprüche zwei unterschiedliche Streitgegenstände.
Darlegungs- und Beweislast
Verlangt das Betriebsratsmitglied auf Grundlage der Mindestentgeltgarantie eine Vergütungsanpassung nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG, trifft es nach allgemeinen Regeln die Darlegungs- und Beweislast für die rechtsbegründenden Tatbestandsmerkmale. In Bezug auf die Entgeltentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung kann ihm ergänzend ein Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber gemäß §§ 611a, 242 BGB iVm. § 37 Abs. 4 BetrVG zustehen.
Stützt das Betriebsratsmitglied seinen Anspruch auf eine fiktive Karriere nach § 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 611a Abs. 2 BGB, trägt es gleichfalls die Darlegungs- und Beweislast. Es hat nachzuweisen, dass es ohne seine Tätigkeit als Mitglied des Betriebsrats mit einer Aufgabe betraut worden wäre, die ihm den Anspruch auf das begehrte Arbeitsentgelt geben würde.
Anders ist die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hingegen, wenn der Arbeitgeber eine mitgeteilte und gewährte Vergütungserhöhung, die sich für das Betriebsratsmitglied nach der objektiven Sachlage als bloße Anpassung seines Entgelts entsprechend § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG darstellen durfte, nachträglich nach unten korrigiert. In diesem Fall hat der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, dass die Vergütungserhöhung objektiv fehlerhaft war.
Die entschiedenen Fälle
In den vom BAG entschiedenen Fällen hatte der Arbeitgeber den betroffenen Betriebsratsmitgliedern in mehreren Schreiben über viele Jahre hinweg jeweils mitgeteilt, dass das Arbeitsentgelt entsprechend der mit ihnen vergleichbaren Arbeitnehmer mit betriebsüblicher Entwicklung „gem. § 37 Abs. 4 BetrVG der Entgeltstufe … angepasst“ werde. Der Arbeitgeber hatte also Vergütungserhöhungen gewährt, die sich nach der objektiven Sachlage entsprechend den Schreiben des Arbeitgebers für das jeweilige Betriebsratsmitglied als Anpassung seines Entgelts nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG dargestellt haben. Will der Arbeitgeber in einem solchen Fall nachträglich die Vergütung reduzieren, weil er meint, die Gehaltsanpassung sei zu hoch ausgefallen und nicht begründet, hat er im Prozess deren objektive Fehlerhaftigkeit darzulegen und ggf. zu beweisen. Hierzu muss er vortragen, dass – bezogen auf den Zeitpunkt der mitgeteilten Vergütungserhöhung – nur die Voraussetzungen der „nach unten“ korrigierten Vergütungsanpassung erfüllt waren.
Vergleichbare Arbeitnehmer
Der Arbeitgeber kann die in der Vergangenheit erfolgte Vergütungsanpassung nur dann reduzieren, wenn die Gehaltsentwicklung des Betriebsratsmitglieds während der Dauer seiner Amtszeit in Relation zu der vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung unzutreffend war.
Vergleichbar sind dabei Arbeitnehmer, die ähnliche, im Wesentlichen gleich qualifizierte Tätigkeiten ausgeführt haben wie das Betriebsratsmitglied und dafür in gleicher Weise wie dieses fachlich und persönlich qualifiziert waren.
Üblich ist eine Entwicklung, die vergleichbare Arbeitnehmer bei Berücksichtigung der normalen betrieblichen und personellen Entwicklung in beruflicher Hinsicht genommen haben.
Maßgebender Zeitpunkt für den Vergleich
Die (Mindest-)Entgeltgarantie von § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG knüpft grundsätzlich an die bei Amtsübernahme im Betrieb ausgeübte konkrete berufliche Tätigkeit an. Maßgebender Zeitpunkt für den Vergleich ist damit der Zeitpunkt der Wahl des Betriebsratsmitglieds, also der Zeitpunkt, in dem es sich noch ausschließlich seiner beruflichen Tätigkeit gewidmet hat. Das gilt auch für freigestellte Betriebsratsmitglieder.
Auf den Zeitpunkt der erstmaligen Übernahme des Betriebsratsamts ist auch dann abzustellen, wenn nach Beendigung der Amtszeit noch während des nachwirkenden Entgeltschutzzeitraums iSv. § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG wegen Wiederwahl des Betriebsratsmitglieds eine weitere Amtszeit beginnt.
Auf einen vor der Amtsübernahme liegenden Zeitpunkt kann auch dann nicht abgestellt werden, wenn das Betriebsratsmitglied vor der Übernahme des Betriebsratsamts von seiner Arbeitsleistung – hier zum Zwecke gewerkschaftlicher Tätigkeit als gewerkschaftliche Vertrauensperson - freigestellt war. Hat das Betriebsratsmitglied im Zeitpunkt seiner Amtsübernahme – gleich aus welchem Grund – keine Arbeitsleistung erbracht, ist die von ihm nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Tätigkeit maßgeblich.
Ein anderer Zeitpunkt kommt nur in Betracht, wenn es hierfür einen sachlichen Grund gibt. Diese Rechtsprechung hat der Gesetzgeber nunmehr in der seit dem 25.07.2024 geltenden Neufassung des § 37 Abs. 4 Satz 3 BetrVG kodifiziert.
Namentliche Benennung anderer Arbeitnehmer
Soweit sich der Arbeitgeber auf andere, aus seiner Sicht vergleichbare Arbeitnehmer beruft, deren Gehaltsentwicklung nicht so gut war, wie die des Betriebsratsmitglieds, hat er diese namentlich zu benennen. Die Namensnennung ist erforderlich, weil das Betriebsratsmitglied nachvollziehen muss, welche konkreten Arbeitnehmer der Arbeitgeber für vergleichbar hält. Eine Einlassung zu den Vergleichspersonen allein anhand ihrer jeweiligen Endziffern der Personalnummer, ihrer Organisationseinheit und Tätigkeitsbeschreibung usw. genügt nicht. Datenschutzrechtliche Belange stehen dem nicht entgegen.
Auswirkungen für die Praxis und Ausblick
Die Urteile des BAG vom 20.03.2025 schaffen Klarheit zur prozessualen Darlegungs- und Beweislast, wenn der Arbeitgeber vermeintlich zu hohe Vergütungen freigestellter Betriebsratsmitglieder zurückverlangt.
In der Praxis besteht allerdings nach wie vor Unsicherheit, wie die Vergleichspersonen nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG zu bestimmen sind. Hier eröffnet die im Jahre 2024 in Kraft getretene Neuregelung in § 37 Abs. 4 Satz 4 und 5 BetrVG wichtige Handlungsmöglichkeiten.
Die Betriebsparteien können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer treffen. Regeln Arbeitgeber und Betriebsrat das Verfahren zur Festlegung von Vergleichsgruppen in einer Betriebsvereinbarung, ist die darin getroffene Konkretisierung der Vergleichbarkeit nach § 37 Abs. 4 Satz 5 BetrVG nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüfbar. Gleiches gilt, wenn sich Arbeitgeber und Betriebsrat ausgehend von den in der Betriebsvereinbarung bestimmten Vergleichskriterien auf die Festlegung konkreter Vergleichspersonen einigen und dies in Textform (§ 126b BGB) niederlegen. Grob fehlerhaft ist die Konkretisierung der jeweiligen Vergleichbarkeitsmerkmale in der Betriebsvereinbarung, wenn sie sich nicht an diesen Kriterien orientiert, sachwidrige weitere Kriterien benennt, wesentliche Kriterien unberücksichtigt lässt oder diese Kriterien im Verhältnis zueinander eindeutig unzureichend oder mit eindeutig verfehlter Gewichtung berücksichtigt.
In dem in § 78 BetrVG neu eingefügten Satz 3 werden Kriterien vorgegeben, an denen sich eine benachteiligungs- und begünstigungsfreie Entgeltgewährung orientieren kann. Eine Benachteiligung oder Begünstigung im Hinblick auf das gezahlte Entgelt liegt danach nicht vor, wenn der jeweilige Amtsträger in seiner Person bezogen auf im Betrieb konkret vorhandene Arbeitsplätze die für die Gewährung des Entgelts erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt. Der fiktive Beförderungsanspruch knüpft dabei stets an die Besetzung einer konkreten Stelle an.
Bei der Bewertung der erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien können nach der Gesetzesbegründung auch die durch und während der Amtstätigkeit erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen berücksichtigt werden, soweit sie im Unternehmen auch außerhalb des Betriebsratsamtes für die jeweilige Stelle karriere- und vergütungsrelevant sind. Sie sind das Ergebnis eines individuellen persönlichen Lernprozesses des Betriebsratsmitglieds und nicht ohne weiteres durch eine Funktion im Betriebsrat oder einem seiner Ausschüsse oder Gremien vorgegeben. Nicht berücksichtigungsfähig ist indes, dass etwa ein Mitglied des Betriebsrats ggf. mit Vorständen und Managern „auf Augenhöhe verhandelt“ oder „komplexe Aufgaben“ wahrnimmt oder in „unternehmerische Entscheidungskomplexe eingebunden“ ist. Diese Maßstäbe knüpfen in unzulässiger Weise an die Betriebsratstätigkeit an und finden keine Stütze im Betriebsverfassungsgesetz.
Arbeitgeber und Betriebsrat sind gut beraten, die neuen Handlungsoptionen wahrzunehmen, um die Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder rechtssicher zu gestalten.
Weiterführende Links
BAG Entscheidungen: 7 AZR 46/24, 7 AZR 159/24, 7 AZR 181/24, 7 AZR 179/24
