• 28. Mai 2025
  • Gesellschaftsrecht und M&A

Zur Haftung des Erwerbers für nicht gezahlte Sozialversicherungsbeiträge aufgrund von Scheinselbständigkeit beim Unternehmenskauf im Wege eines Asset Deals

Beim Unternehmenskauf im Wege eines Asset Deals besteht im Rahmen der Due Diligence ein wesentlicher Schwerpunkt im Erkennen von Verbindlichkeiten, die automatisch auf den Erwerber übergehen. In der Vertragsgestaltung gilt es dann, etwaige Haftungsrisiken vom Erwerber abzuwenden.

Verbindlichkeiten von wirtschaftlich hoher Bedeutung können sich aus nicht entrichteten Sozialversicherungsbeiträgen, die z.B. aus sogenannter Scheinselbständigkeit resultieren, ergeben. Ob solche Verbindlichkeiten des Verkäufers im Rahmen eines Asset Deals automatisch auf den Erwerber übergehen, ist Gegenstand des folgenden Beitrags. 

Arbeitsrechtliche Besonderheiten beim Asset Deal

Anders als bei einem sogenannten Share Deal werden bei einem Asset Deal nicht Anteile an einer Gesellschaft übertragen, sondern gezielt Einzelwirtschaftsgüter.

Arbeitsrechtliche Besonderheiten ergeben sich bei einem Asset Deal, wenn der gesamte Betrieb oder ein Betriebsteil den Kaufgegenstand bilden. Im Fall eines solchen sogenannten Betriebsüberganges ordnet das Gesetz an, dass sämtliche Arbeitsverhältnisse mit allen Rechten und Pflichten automatisch auf den Erwerber übergehen.

Was bedeutet Scheinselbstständigkeit?

Eine Scheinselbständigkeit liegt immer dann vor, wenn die Vertragsparteien formal einen freien Dienst- oder Werkvertrag abgeschlossen haben, in tatsächlicher Hinsicht jedoch ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis gelebt wird. Entscheidend für die Einordnung ist also nicht die Vertragslage, sondern die gelebte Praxis.

Nach der Rechtsprechung erfolgt die Einordnung im Rahmen einer Gesamtbetrachtung. Anzeichen für die Einordnung als abhängiges Beschäftigungsverhältnis sind u.A. die Weisungsgebundenheit des Auftragsnehmers, die feste Bestimmung von Arbeitsort und Arbeitszeit sowie die Überschneidung mit Aufgaben von Angestellten des Auftraggebers.

Liegt eine Scheinselbständigkeit, vor, kann sich das das Unternehmen erheblichen Nachforderungen an Sozialversicherungsbeiträgen, Bußgeldern sowie arbeitsrechtlichen Ansprüchen ausgesetzt sehen.

Übergang der sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche auf den Erwerber

Ob sozialversicherungsrechtliche Ansprüche, die aufgrund von Scheinselbständigkeit entstanden sind, im Rahmen einer Betriebsveräußerung im Ganzen als Asset Deal auf den Erwerber übergehen, ist in der Literatur umstritten und bislang noch nicht höchstrichterlich geklärt. 

1.Übergang nach § 613a BGB

Da es sich bei Scheinselbständigen in Wirklichkeit um abhängig Beschäftigte handelt, gehen deren faktische Arbeitsverhältnisse im Rahmen eines Asset Deals auf den Erwerber über, wenn es sich um einen Betriebsübergang handelt. Der Erwerber haftet daher jedenfalls für künftige Sozialversicherungsbeiträge.

Ein Haftungsübergang der vom Veräußerer in der Vergangenheit nicht gezahlten Sozialversicherungsbeiträge auf den Erwerber nach § 613 a BGB wird jedoch ganz überwiegend von der Literatur und der Rechtsprechung abgelehnt, da es sich nicht um eine Verpflichtung des Arbeitgebers aus dem laufenden Arbeitsverhältnis handelt, sondern um eine Verpflichtung öffentlich-rechtlicher Natur.

Dieser Begründung wird jedoch in der Literatur entgegengehalten, dass nach § 28e Abs. 1 S. 2 SGB IV die Zahlung des von dem Beschäftigten zu tragenden Teils des Gesamtsozialversicherungsbeitrages als aus dem Vermögen des Beschäftigten erbracht gelten. Aufgrund dieser gesetzgeberischen Einordnung solle es sich jedenfalls bei der Zahlung des Arbeitnehmeranteils um eine Pflicht aus dem laufenden Arbeitsverhältnis handeln. Würde man dieser Ansicht folgen, ginge die Zahlungspflicht für rückständige Sozialversicherungsbeiträge zumindest teilweise auf den Erwerber über.

Offen ist bislang, welchen Einfluss das Urteil des EuGH vom 28. Januar 2015 (Az.: C-688/13) auf die nationale Rechtsprechung hat. In seinem Urteil hatte der EuGH festgestellt, dass zu den auf Erwerber übergehenden Lasten - neben den Gehältern und sonstigen Bezügen - auch die Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung zählen, wobei die Mitgliedstaaten hiervon jedoch abweichende Regelungen vorsehen können, wenn der Schutz der Arbeitnehmer gewährleistet ist.

2. Übergang nach § 75 Abs. 1 S. 1 AO

Nach § 75 Abs. 1 S. 1 AO kann der Erwerber eines Unternehmens unter bestimmten Voraussetzungen für die im Betrieb des Unternehmens begründeten Steuern haften. Ein Übergang rückständiger Sozialversicherungsbeträge vom Veräußerer auf den Erwerber nach § 75 Abs. 1 S. 1 AO wird nach der ganz herrschenden Meinung jedoch abgelehnt. 

Begründet wird dies damit, dass es sich bei Sozialversicherungsbeiträgen nicht um Steuern im Sinne der Abgabenordnung handeln würde. Auch eine analoge Anwendung von § 75 Abs. 1 S. 1 AO wird aufgrund der nicht bestehenden vergleichbaren Interessenlage abgelehnt.

Für den Fall, dass man entgegen der derzeitigen Rechtsprechung doch einen Übergang rückständiger Sozialversicherungsbeträge nach § 75 AO annähme, wäre von Bedeutung, dass nach § 75 Abs. 1 S. 1 AO nur solche Beiträge betroffen sind, die seit dem Beginn des letzten, vor der Übereignung liegenden Kalenderjahres entstanden sind. Auf andere Übergangsnormen, wie z.B. § 613a BGB dürfte diese Begrenzung nicht anzuwenden sein.

3. Übergang nach § 25 HGB

Schlussendlich wird noch für den Fall der Firmenfortführung über einen möglichen Übergang der Verpflichtung zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge nach § 25 HGB diskutiert. Ein solcher Übergang wird jedoch von der derzeitigen Sozialgerichtsbarkeit und Teilen der Literatur abgelehnt. 

Eine Begründung hierfür findet sich lediglich im Urteil des Landessozialgericht Rheinland-Pfalz vom 13. August 2008 (Az.: L 4 R 366/07, NZS 2009, 574). Nach dieser Entscheidung handele es sich bei rückständigen Sozialversicherungsbeträgen nicht um Verbindlichkeiten, die im Betrieb des Geschäfts begründet worden sind (sogenannte Geschäftsverbindlichkeit). Dies ergebe sich daraus, dass es für Sozialversicherungsbeiträge - anders als für Steuerverbindlichkeiten, die unstrittig auch nach § 25 HGB auf den Erwerber übergehen - keine dem § 75 AO entsprechende Regelung gibt. § 25 HGB erfasse ansonsten nur zivilrechtliche Ansprüche.

Diese Begründung wird von einem immer größer werdenden Teil der Literatur kritisiert, da die Regelungen von § 25 HGB und § 75 AO in einfacher Gesetzeskonkurrenz nebeneinander stünden. Einer spezialgesetzlichen Regelung, die den Übergang von Verbindlichkeiten auf den Erwerber anordnet, bedürfe es daher weder für Steuerverbindlichkeiten noch für Sozialversicherungsbeiträge. 

Praxisempfehlung und Fazit

Auch wenn nach der der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur sozialversicherungsrechtliche Ansprüche im Rahmen eines Asset-Deals nicht auf den Erwerber übergehen, ist aufgrund der Höhe der potenziellen Haftungsansprüche und dem sich andeuteten Meinungsumschwung in der juristischen Literatur in der Transaktionspraxis Vorsicht geboten.

Die Identifikation von potenziellen Scheinselbständigen sollte bereits Gegenstand der arbeitsrechtlichen Due Diligence sein.

Sollte sich aufgrund der Due Diligence ein Risiko ergeben, ist dies bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen. Dies kann beispielsweise in Form einer Freistellung oder einer Garantie erfolgen.

Auch sollte im Rahmen der Integration geprüft werden, ob Vertragsverhältnisse bestehen, die das Risiko einer Scheinselbständigkeit begründen, denn jedenfalls ab dem Betriebsübergang haftet der Erwerber für künftige Sozialversicherungsbeiträge.