• 05. Juni 2025
  • Arbeitsrecht

BAG: Kein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub im Vergleich

In arbeitsrechtlichen Beendigungsstreitigkeiten einigen sich die Parteien nicht selten auf einen gerichtlichen Vergleich – inklusive Abfindung und der wechselseitigen Regelung noch offener Ansprüche. Dabei kommt es regelmäßig auch zur (vermeintlichen) Erledigung von Urlaubsansprüchen. Besonders verlockend mag dann erscheinen, mögliche ausstehende und nicht abgegoltene Urlaubsansprüche in eine Abfindungssumme einfließen zu lassen, nicht zuletzt um Sozialversicherungsbeiträge „einzusparen“ – was nicht zulässig ist. Wie weit reicht die privatautonome Gestaltung in solchen Vergleichen, insbesondere im Hinblick auf den gesetzlichen Mindesturlaub?

Mit Urteil vom 3. Juni 2025 (Az. 9 AZR 104/24) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) diese Frage beantwortet - und dabei die Grenzen der Vergleichsgestaltung deutlich gezogen. Das BAG bleibt seiner Linie treu und betont erneut die Unabdingbarkeit der Regelungen aus dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG).

Urlaubsvergütung auf Umwegen

Der Kläger war von Januar 2019 bis April 2023 als Betriebsleiter beschäftigt. Im gesamten Jahr 2023 war er durchgehend arbeitsunfähig und konnte daher seinen Urlaub nicht nehmen. Im März 2023 schlossen die Parteien einen gerichtlichen Vergleich, der unter anderem die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. April 2023 gegen Zahlung einer Abfindung regelte. In Ziffer 7 des Vergleichs hieß es: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.“

Die Klägervertreterin hatte zuvor mehrfach auf die Unzulässigkeit eines Verzichts auf den gesetzlichen Mindesturlaub hingewiesen. Nichtsdestotrotz stimmte sie der entsprechenden Formulierung im späteren Vergleich zu.

Der Kläger verlangte nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, im Juni 2023, die Abgeltung von sieben Tagen gesetzlichen Mindesturlaubs i.H.v. insgesamt rund EUR 1.615,00 nebst Zinsen. Der im gerichtlichen Vergleich geregelte Verzicht auf den unabdingbaren Mindesturlaub sei unwirksam. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt – das BAG bestätigte diese Entscheidungen nun höchstrichterlich.

Die Entscheidung des BAG: Verzicht unwirksam

Das BAG stellte klar: Der Kläger hat einen Anspruch auf Abgeltung des nicht erfüllten gesetzlichen Mindesturlaubs (§ 7 Abs. 4 BUrlG), welcher durch den Vergleichsschluss nicht erloschen ist. Ein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub – auch im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs – ist unwirksam, sofern dadurch die zwingenden Vorschriften über den gesetzlichen Mindesturlaub unterlaufen werden (§ 134 BGB i.V.m. § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG). 

  • Dazu gehört, dass während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub nicht ausgeschlossen oder begrenzt werden darf.
  • Gleiches gilt für einen erst künftig – mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – entstehenden Anspruch auf Abgeltung gesetzlichen Mindesturlaubs.
  • Dieses Verbot findet auch dann Anwendung, wenn bei einem gerichtlichen Vergleich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bereits feststeht, dass der Arbeitnehmer den gesetzlichen Mindesturlaub wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht mehr in Anspruch nehmen kann.
  • Gemäß der Richtlinie 2003/88/EG kann der bezahlte Mindesturlaub nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden, außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
  • Folglich darf der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis nicht gegen und erst recht nicht ohne finanziellen Ausgleich auf den gesetzlichen Mindesturlaub „verzichten“.
  • Die Klausel war nicht als Tatsachenvergleich einzuordnen – da wegen der unstreitigen, durchgehenden Arbeitsunfähigkeit keine Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen des Urlaubsanspruches bestand. Ein Tatsachenvergleich über Urlaubsansprüche ist zwar zulässig, setzt aber voraus, dass eine bestehende Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anspruchs durch gegenseitiges Nachgeben ausgeräumt werden soll.
  • Besonders deutlich: Dem Kläger war es auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der Verzichtsvereinbarung zu berufen. Denn die Beklagte darf nicht auf den Bestand einer offensichtlich unwirksamen Regelung vertrauen. Die Vorinstanz hatte betont, dass der Kläger sogar bei Vergleichsschluss noch auf die Unwirksamkeit hingewiesen habe (LAG Köln v. 11. April 2024, 7 Sa 516/23).

Fazit 

Arbeitsrechtliche Aufhebungsvereinbarungen und Gerichtsvergleiche sind längst keine Selbstläufer mehr, sondern Gegenstand und Ausfluss umfangreicher nationaler und unionsrechtlicher Rechtsprechung und Gesetzgebung. Das Urteil bekräftigt einmal mehr die Unverzichtbarkeit des gesetzlichen Mindesturlaubs – auch im Rahmen von gerichtlichen Vergleichen. Arbeitgeber sollten daher große Vorsicht walten lassen, wenn gesetzliche Urlaubsansprüche pauschal als „erledigt“ bezeichnet werden. 

Nicht selten ist die Motivation der Parteien auch, die Sozialversicherungsbeiträge zu sparen, die auf die Abgeltung von Urlaubsansprüchen fällig werden, insbesondere bei längerer Arbeitsunfähigkeit und damit einer hohen Anzahl an Urlaubstagen. Von einer voreiligen pauschalen Erledigung ist nicht nur abzuraten, weil sie – wie vom BAG bestätigt – unwirksam sein kann. Vor allem ist davon abzuraten, weil es strafbewehrt ist, Sozialversicherungsbeiträge vorzuenthalten (§ 266a StGB). Es bleibt abzuwarten, ob das BAG, dessen Entscheidung bislang erst als Pressemitteilung vorliegt, diesen Aspekt in seinen Urteilsgründen anspricht; jedenfalls hat es das LAG Köln nicht getan.

Praxishinweise

Vorlagen für Aufhebungs- und Abwicklungsvereinbarungen sowie gerichtliche Vergleiche sollten sorgfältig geprüft und angepasst werden, insbesondere in Fällen längerer Arbeitsunfähigkeit, wie sie in der Praxis regelmäßig vorkommen.

Formulierungen wie „Urlaub ist gewährt“ oder „in vollem Umfang in Natura genommen“ sind nur dann rechtssicher, wenn der Anspruch auf Mindesturlaub tatsächlich in natura genommen wurde. Der Urlaub gilt auch dann als genommen, wenn er auf eine unwiderrufliche Freistellung angerechnet werden konnte bzw. noch angerechnet werden kann. Hier sind konkrete, differenzierte Regelungen zu treffen. Sofern der Beendigungszeitpunkt noch in der Zukunft liegt, sollten die Zeiträume der zukünftigen Urlaubsnahme und der anschließenden Freistellung konkret festgelegt werden, bei aktueller Erkrankung unter Berücksichtigung einer möglichen Genesung.

Auch eine Abgeltung vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann nicht vereinbart werden. Ein Tatsachenvergleich bleibt zwar möglich, allerdings nur unter den vom BAG bestätigten Voraussetzungen. Bei Urlaubsansprüchen ist dies z.B. denkbar, wenn die Parteien darüber streiten, ob der notwendige Verfallhinweis durch den Arbeitgeber ordnungsgemäß erteilt wurde und daher unklar ist, ob der Urlaubsanspruch für das entsprechende Jahr noch besteht. Falls die Parteien übereinkommen, dass ein ggf. noch ausstehender Urlaubsanspruch zur Beendigung abgegolten werden muss, kann dies gesondert aufgenommen werden („Kann der Resturlaub bis zum Beendigungszeitpunkt nicht vollständig genommen werden, wird dieser mit der letzten Entgeltabrechnung des Arbeitnehmers abgerechnet und abgegolten“). 

Weiterführende Links: