- 17. Dezember 2025
- Gesellschaftsrecht und M&A
BGH stärkt D&O-Versicherungsschutz in der Krise – jedenfalls ein bisschen
Immer häufiger ist in obergerichtlichen Entscheidungen zum D&O-Versicherungsrecht von „Kardinalpflichten“ die Rede. Dabei handele es sich um besonders elementare berufliche Pflichten, bei deren Verletzung grundsätzlich keine Leistungspflicht des D&O-Versicherers bestehe, weil man von einer wissentlichen Pflichtverletzung ausgehen müsse. Das OLG Frankfurt a.M. weitete diesen Ansatz im Anschluss an das OLG Köln jüngst noch aus. Der BGH hat dieser bedenklichen Rechtsprechungslinie der beiden Oberlandesgerichte nun teilweise einen Riegel vorgeschoben. Die Gelegenheit für eine Grundsatzentscheidung über sogenannte „Kardinalpflichten“ hat er allerdings verpasst.
Schäden aufgrund wissentlicher Pflichtverletzungen sind in der D&O-Versicherung nicht versichert. Die Darlegungs- und Beweislast für den Deckungsausschluss der Wissentlichkeit liegt grundsätzlich beim Versicherer. Teile der obergerichtlichen Rechtsprechung haben diesen Grundsatz in neueren Entscheidungen in das Gegenteil verkehrt und den Wissentlichkeitsausschluss in Fällen vermeintlicher „Kardinalpflichten“ stark ausgeweitet. Insbesondere die Geschäftsleiterpflichten in der Krise und Insolvenz des Unternehmens wurden in der Vergangenheit als eine Kardinalpflicht des Geschäftsleiters angesehen. Bei Verletzung drohte der Deckungsausschluss wegen Wissentlichkeit.
Der BGH (Urt. v. 19. November 2025 – IV ZR 66/25) stärkt die versicherten Personen nun durch die Klarstellung, dass jedenfalls von dem Wissen um eine konkrete Pflichtverletzung nicht auf die Wissentlichkeit in Bezug auf eine andere Pflichtverletzung geschlossen werden kann. Zu dem Begriff „Kardinalpflichten“ und den Folgen für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast betreffend den Deckungsausschluss Wissentlichkeit äußert er sich allerdings nicht.
Sachverhalt
Der Entscheidung des BGH lag vereinfacht folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger, Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH, nahm den beklagten D&O-Versicherer auf Leistung in Anspruch. Den Deckungsanspruch des Geschäftsführers gegen den Versicherer hatte der Insolvenzverwalter zuvor pfänden und sich überweisen lassen. Der Vorwurf gegen den Geschäftsführer lautete, dieser habe nach Insolvenzreife der Gesellschaft unzulässige Zahlungen geleistet, wofür er hafte, § 64 Satz 1 GmbHG a.F. (heute: § 15b Abs. 1 InsO). In den zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen des D&O-Versicherers war ein Risikoausschluss für vorsätzliche Schadenverursachung und/oder wissentliche Pflichtverletzung durch die versicherte Person (den Geschäftsführer) vorgesehen. Das LG Wiesbaden hat den Versicherer antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung des Versicherers hat das OLG Frankfurt a.M. (Urt. v. 5. März 2025, 7 U 134/23) die Klage abgewiesen. Die Revision des Insolvenzverwalters hatte Erfolg und führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidung des OLG
Nachdem das LG Wiesbaden eine schuldhafte, aber nicht wissentlich begangene und zu einem kausalen Schaden führende Pflichtverletzung – nämlich verbotene Zahlungen an Dritte nach Eintritt der Insolvenzreife – bejaht hatte, vertrat das OLG Frankfurt a.M. hinsichtlich der Wissentlichkeit eine gegenteilige Auffassung und nahm einen vollständigen Leistungsausschluss an.
Das OLG Frankfurt a.M. war der Auffassung, es müsse nicht zwischen einer Verletzung der Insolvenzantragspflicht und einer Verletzung des Zahlungsverbots unterschieden werden. Denn schon in der Verletzung der Insolvenzantragspflicht liege die wesentliche Ursache der Masseschmälerung. Aus einer wissentlichen Verletzung der Insolvenzantragspflicht könne daher auf die wissentliche Verletzung des Zahlungsverbots geschlossen werden und andersherum. Aus der Sicht des OLG Frankfurt a.M. reichte es damit aus, die wissentliche Verletzung der Insolvenzantragspflicht festzustellen.
Für diese Feststellung wiederum griff das OLG Frankfurt a.M. auf eine zweite Erleichterung zurück. Es war nämlich der Auffassung, bei der Insolvenzantragspflicht handele es sich um eine sogenannte „Kardinalpflicht“, bei deren Verletzung auf die Wissentlichkeit (und damit den vollständigen Leistungsausschluss) geschlossen werden könne. Zwar liege die Darlegungs- und Beweislast für die Verwirklichung des Leistungsausschlusses wegen Wissentlichkeit bei dem Versicherer. Dabei genüge es aber, wenn der Versicherer die Verletzung „elementarer beruflicher Pflichten“ – sogenannter „Kardinalpflichten“ – darlege, weil deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden könne. Es könne von dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf das Wissen des Geschäftsführers hiervon geschlossen werden. In diesem Falle obliege es dann dem Geschäftsführer, sich zu entlasten. Die Insolvenzantragspflicht nach Eintritt der Insolvenzreife sei eine solche Kardinalpflicht.
Nach dem selbst definierten Maßstab hätte sich das OLG Frankfurt a.M. also damit begnügen können, von der objektiven Verletzung der Insolvenzantragspflicht auf das Wissen des Geschäftsführers von dieser Pflichtverletzung zu schließen. Ergänzend stellte es allerdings fest, dass im konkreten Fall zudem weitere objektive Indizien vorgelegen hätten, aus denen darauf geschlossen werden könne, dass der Geschäftsführer „blind in die Krise gesegelt sei“ und sich der Kenntnis betreffend die Insolvenzreife, d.h. die Insolvenzantragspflicht, geradezu verschlossen habe. Das sei der Wissentlichkeit gleichzusetzen.
Entscheidung des BGH
Der BGH hat diese Entscheidung aufgehoben und angenommen, die Vermengung verschiedener Pflichtverletzungen und der Schluss von der Kenntnis einer Pflichtverletzung auf die Kenntnis einer anderen (wenn auch verwandten) Pflichtverletzung sei unzulässig. Ferner könne von einem bewussten Verschließen vor der Kenntnis von Tatumständen nur auf bedingten Vorsatz, nicht aber auf Wissentlichkeit geschlossen werden.
Die Klauseln in D&O-Bedingungswerken, wonach bei wissentlichen Pflichtverletzungen die Leistung ausgeschlossen sei, müssten – verkürzt gesagt – so ausgelegt werden, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bzw. eine versicherte Person sie bei verständiger Würdigung versteht. Danach bräuchten Versicherungsnehmer und versicherte Personen nicht damit zu rechnen, dass der Vertrag Lücken enthalte, ohne dass die Klausel ihnen dies hinreichend verdeutlicht. Deshalb seien Risikoausschlussklauseln eng und nicht – wie es das OLG Frankfurt a.M. tat – weit auszulegen. Die wissentliche Pflichtverletzung müsse daher diejenige sein, wegen welcher der Versicherte in dem konkreten Fall für einen Vermögensschaden auf Schadenersatz in Anspruch genommen wird. Dessen Kenntnis muss sich – gewissermaßen spiegelbildlich – auf die Pflicht beziehen, deren Verletzung die Haftung auslöst. Das habe das OLG Frankfurt a.M. hier nicht festgestellt, weil es unmittelbar von der Kenntnis des Geschäftsführers über die Verletzung der Insolvenzantragspflicht auf die Kenntnis von der Verletzung des Zahlungsverbots geschlossen habe, ohne letztere festzustellen.
Aber auch die Bejahung der Kenntnis des Geschäftsführers von der Verletzung der Insolvenzantragspflicht sei rechtsfehlerhaft. Das OLG Frankfurt a.M. habe nur festgestellt, dass sich der Geschäftsführer vor der Gewissheit der Zahlungsunfähigkeit bewusst verschlossen habe. Davon könne aber nicht darauf geschlossen werden, dass der Geschäftsführer Kenntnis hiervon hatte. Lediglich der Schluss auf bedingten Vorsatz sei zulässig. Bedingter Vorsatz liegt vor, wenn eine Person die Möglichkeit des Erfolgseintritts erkennt und dies billigend in Kauf nimmt, d.h. sich damit abfindet. Das genügt für den Risikoausschluss Wissentlichkeit allerdings nicht.
Zu den Ausführungen des OLG betreffend die Einordnung der Insolvenzpflichten als Kardinalpflichten und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen musste sich der BGH mangels Entscheidungserheblichkeit hingegen nicht äußern.
Anmerkung
Die Entscheidung des BGH ist ein gutes Zeichen für versicherte Personen, da sie eine Ausuferung des Deckungsausschlusses der wissentlichen Pflichtverletzung eindämmt. Sie lässt andererseits aber auch viele Fragen offen; die vom OLG Frankfurt a.M. auf dem Silbertablett servierte Gelegenheit, auch zu dem Konstrukt der Kardinalpflicht an sich Stellung zu nehmen, hat der BGH nicht genutzt. Nach dieser Entscheidung stellt sich die Situation wie folgt dar: Die Rechtsprechung der OLG Frankfurt a.M. und Köln, wonach von der objektiven Verletzung sogenannter Kardinalpflichten unmittelbar auf die Kenntnis des Geschäftsführers von dieser Verletzung geschlossen werden könne, hat der BGH weder bestätigt noch kritisiert. Die faktische Umkehr der Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf den Deckungsausschluss im Fall der Verletzung (vermeintlicher) Kardinalpflichten steht daher nach wie vor im Raum. Lediglich dem Schluss von der Kenntnis der Verletzung der Insolvenzantragspflicht auf die Kenntnis der Verletzung des Zahlungsverbots ist nun ein Riegel vorgeschoben. Versicherer werden sich daher voraussichtlich auch in Zukunft vermehrt auf den Wissentlichkeitsausschluss berufen.
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