- 10. Dezember 2025
- Arbeitsrecht
BAG klärt Diskriminierungsschutz bei Regelaltersgrenzenbefristungen
In seiner Entscheidung vom 31. Juli 2025 (6 AZR 18/25) hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) erneut klargestellt, dass eine Befristung eines Arbeitsvertrags bis zur Erreichung der Regelaltersrente nicht unter den besonderen Diskriminierungsschutz des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) fällt. Eine solche Altersgrenzenbefristung begründet daher, anders als typische Befristungen, keinen Anspruch darauf, in Vergütungs- oder Zulagensysteme einbezogen zu werden, die nur dauerhaft Beschäftigten offenstehen.
Sachverhalt
Die tarifbeschäftigte Klägerin war seit 2018 beim beklagten Land tätig. Kraft Arbeitsvertrags fand der TV-L einschließlich der dort in § 33 Abs. 1 lit. a normierten Altersgrenzenregelung Anwendung, wonach das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats endet, in dem die gesetzliche Regelaltersgrenze erreicht wird.
Seit Dezember 2022 arbeitete die Klägerin in einer Observationsgruppe des Nachrichtendienstes gemeinsam mit Beamtinnen und Beamten, die inhaltsgleich eingesetzt waren. Für Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte sieht die landesrechtliche Erschwerniszulagenverordnung (EZulV) eine pauschale monatliche Zulage für besondere Einsätze vor. § 22 EZulV gewährt diese Zulage auch für den Einsatz in Observationsgruppen. Die Klägerin erhielt diese Leistung nicht. Im Rettungsdienst der Feuerwehr des beklagten Landes hingegen werden beamtenrechtliche Erschwerniszulagen über Verweisungen im TV‑L (unter anderem § 47 Nr. 2 TV‑L) auch auf bestimmte Tarifbeschäftigte erstreckt und vom beklagten Land gewährt.
Die Klägerin verlangte ebenfalls die Zahlung der monatlichen Erschwerniszulage rückwirkend sowie für die Zukunft. Zur Begründung berief sie sich vorrangig auf das Diskriminierungsverbot des § 4 Abs. 2 TzBfG, gestützt auf die Richtlinie 1999/70/EG und Art. 20 GRC, ferner auf Art. 3 Abs. 1 GG und hilfsweise auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Sie argumentierte, sie sei wegen der tariflichen Befristung des Arbeitsverhältnisses auf die Regelaltersgrenze als befristet Beschäftigte anzusehen und werde gegenüber den lebenszeitverbeamteten Kolleginnen und Kollegen in unzulässiger Weise schlechter gestellt. Nachdem die Klage vom Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 26.3.2024 – Az. 22 Ca 8930/23) und die Berufung vom Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 29.11.2024 – Az. 12 Sa 379/24) abgewiesen wurden, verfolgte die Klägerin ihre Ansprüche im Revisionsverfahren weiter.
Entscheidung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wies die Revision jedoch zurück: Ein Anspruch auf die begehrte Erschwerniszulage bestehe nicht.
Zwar stellte das BAG klar, dass der sachliche und persönliche Anwendungsbereich des § 4 Abs. 2 Satz 1 TzBfG formal eröffnet sei: Die Klägerin sei aufgrund der tariflichen Altersgrenzenregelung befristet Beschäftige iSv. § 3 TzBfG. Eine Altersgrenzenregelung dieser Art stelle eine kalendermäßige Befristung dar, da der Beendigungszeitpunkt (Vollendung des Regelalters und Ablauf des entsprechenden Monats) hinreichend bestimmbar sei.
Im Kern der Entscheidung grenzte das BAG jedoch den Schutzzweck des Diskriminierungsverbots aus § 4 Abs. 2 TzBfG ein: Aus Gesetzesbegründung und unionsrechtlichem Hintergrund, insbesondere § 4 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG, folge, dass § 4 Abs. 2 TzBfG Missbrauch befristeter Beschäftigung verhindern solle. Geschützt werden sollten vor allem atypische, in ihrer Existenz unsichere befristete Arbeitsverhältnisse, bei denen ein erhöhtes Risiko bestehe, dass Arbeitgeber schlechtere Arbeitsbedingungen durchsetzten oder Rechte vorenthielten als bei unbefristet Beschäftigten. Altersgrenzenbefristete Verträge entsprächen diesem Leitbild gerade nicht: Sie hätten typischerweise den „Charakter konsolidierter Normalarbeitsverhältnisse“, könnten über Jahrzehnte bestehen und würden faktisch wie unbefristete Verträge behandelt. Der betroffene Arbeitnehmer stehe meist am Ende des Berufslebens. Nicht selten würden sie sogar „als auf unbestimmte Zeit geschlossen“ bezeichnet. Ein Beschäftigter, dessen Arbeitsverhältnis erst mit Erreichen der Regelaltersrente endet, bedarf daher nach Auffassung des Senats nicht des besonderen Diskriminierungsschutzes der „befristet Beschäftigten“.
Der Schutz des Diskriminierungsverbots für befristet beschäftigte Arbeitnehmer erstrecke sich nach Sinn und Zweck nicht auf diese Konstellation. Eine ungünstigere Behandlung der Klägerin gegenüber den lebenszeitverbeamteten Observationskräften könne deshalb nicht über § 4 Abs. 2 TzBfG beanstandet werden.
Unionsrecht stehe dieser Einschränkung des § 4 Abs. 2 TzBfG nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des EuGH (28.02.2018 – C-46/17 – Rechtssache „John“) ist die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Rentenberechtigung in den Mitgliedstaaten weit verbreitet und stellt einen angemessenen Ausgleich der beteiligten Interessen dar. Eine Befristung auf die Regelaltersgrenze stelle daher keine Befristung im Sinne der Rahmenvereinbarung dar. Auch das von der Klägerin herangezogene Diskriminierungsverbot des Art. 20 GRCh führt zu keinem anderen Ergebnis, da es lediglich den allgemeinen Gleichheitssatz des Unionsprimärrechts konkretisiere.
Ebenso wenig liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Die Differenzierung der EZulV zwischen Polizeivollzugsbeamtinnen und beamten einerseits und tariflich beschäftigten Arbeitnehmern andererseits beruhe auf der Zugehörigkeit zu verschiedenen Statusgruppen mit jeweils eigenständigen Regelungssystemen und entsprechend unterschiedlichen Voraussetzungen für die Erbringung der Arbeitsleistung. Es handele sich nicht um denselben Beruf im verfassungsrechtlichen Sinn, wenn auch die Tätigkeiten ähnlich waren. Der Verordnungsgeber durfe daher für Beamte des Polizeivollzugsdienstes eine spezielle Erschwerniszulage vorsehen, ohne zugleich verpflichtet zu sein, diese Zulage auch für tarifbeschäftigte Observationskräfte zu eröffnen.
Ein Anspruch auf die begehrte Erschwerniszulage ergäbe sich schließlich auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser greife nur ein, wenn der Arbeitgeber ein eigenständiges Verteilungssystem gestalte. Vollziehe das Land lediglich bestehende Normen, fehle es an der erforderlichen autonomen Entscheidung des Arbeitgebers.
Für die Praxis
Für Arbeitgeber enthält die Entscheidung mehrere wichtige Signale.
Zum einen schafft das BAG Klarheit für den Umgang mit Altersgrenzenklauseln. Arbeitsverträge, die kraft Tarifvertrags oder Individualvereinbarung mit Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze enden, bleiben zwar rechtstechnisch befristete Verträge im Sinne des TzBfG. Sie müssen sich an den Maßstäben des AGG messen lassen, maßgeblich am Verbot der Altersdiskriminierung. Besondere Sorgfalt bleibt auch weiterhin bei der Formulierung einer wirksamen Regelaltersbefristung im Arbeitsvertrag geboten. Der besondere Diskriminierungsschutz des § 4 Abs. 2 TzBfG ist nach der nun ausdrücklich formulierten Leitentscheidung aber nicht auf diesen Vertragstyp anwendbar.
Zum anderen bestätigt das Bundesarbeitsgericht die weitgehende Gestaltungsfreiheit bei der Trennung von beamtenrechtlichen und arbeitsvertraglich-tariflichen Vergütungssystemen. Dass der Gesetz- oder Verordnungsgeber bestimmten Beamtengruppen Erschwerniszulagen gewährt, begründet für Arbeitgeber nicht ohne Weiteres eine Pflicht, den gleichen Vorteil auch Arbeitnehmern in funktional ähnlichen Tätigkeiten zu eröffnen. Solange Statusgruppen in unterschiedlichen Normbereichen geregelt sind und die Differenzierung sachlich an diese unterschiedlichen Normstrukturen anknüpft, ist eine Ungleichbehandlung regelmäßig verfassungsrechtlich unbedenklich.
Arbeitgeber bleiben also frei darin, Altersgrenzenklauseln als Instrument zur Strukturierung des Erwerbslebens einzusetzen, ohne allein wegen der Existenz einer Regelaltersbefristung in den Anwendungsbereich des besonderen Diskriminierungsschutzes für befristet Beschäftigte zu geraten.
Weiterführende Links
BAG v. 31.07.2025 - 6 AZR 18/25
Unser Top-Tipp Arbeitsrecht: Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus | ESCHE