• 18. Juli 2022
  • Arbeitsrecht

Bildungszeit – Österreich als Vorbild?

Der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil möchte Deutschland zur „Weiterbildungsrepublik“ machen und bereits in 2023 ein System der Bildungszeit und Bildungsteilzeit nach österreichischem Modell in Deutschland einführen. Dadurch soll dem Fachkräftemangel in Deutschland entgegengewirkt werden. Welche Ansätze sind geplant und welche Fragen noch unbeantwortet?

Zielsetzungen der neuen Regierung
Die Förderung der Weiterbildung ist eines der wesentlichen Ziele, die sich die Ampel-Koalition im Koalitionsvertrag 2021 – 2025 gesetzt hat:

„In Zeiten des digitalen und demografischen Wandels ist eine gezielte Nationale Weiterbildungsstrategie wesentliche Voraussetzung, um unsere wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Ziele zu erreichen. Wir verbessern Möglichkeiten für berufliche Neuorientierung, Aus- und Weiterbildung – auch in Teilzeit. Die Instrumente der Bildungspolitik und der aktiven Arbeitsmarktpolitik stimmen wir aufeinander ab.“ (Auszug aus dem Koalitionsvertrag)

Kernstück der Weiterbildungsstrategie ist die Einführung einer Bildungszeit bzw. Bildungsteilzeit nach österreichischem Vorbild.

Bildungszeit nach österreichischem Recht 
In Österreich gibt es das Instrument der Bildungskarenz bereits seit 1998. Hierdurch können sich Beschäftigte unbezahlt für Weiterbildungszwecke freistellen lassen. Währenddessen werden sie mit einem Weiterbildungsgeld finanziell unterstützt.

Der Plan des BMAS sieht vor, dass Arbeitnehmer bis zu einem Jahr Bildungszeit oder bis zu zwei Jahre Bildungsteilzeit nehmen können, um sich beruflich weiter zu qualifizieren. In dieser Zeit sollen die Beschäftigten von ihrer Arbeit freigestellt werden und aus Mitteln der Bundesagentur für Arbeit eine Lohnfortzahlung in Höhe des Arbeitslosengeldes erhalten, also 60 % des Einkommens beziehungsweise 67 % für Familien. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Höhe des Arbeitslosengeldes in Deutschland gedeckelt ist, also bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes das Einkommen nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze berücksichtigt wird. Das Arbeitslosengeld bei Alleinverdienern mit Familie beläuft sich aktuell auf max. knapp EUR 3.000 brutto.

Voraussetzung für die Bildungszeit soll eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie bereits einige Jahre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sein. Beabsichtigt ist zudem, dass das Recht auf Bildungszeit wiederholt im Laufe eines Berufslebens in Anspruch genommen werden kann. Laut Bundesminister Heil müsse das Weiterbildungsgeld so selbstverständlich werden wie das Elterngeld. Ein Gesetzentwurf, der die Voraussetzungen und den Anspruch konkret regelt, liegt derzeit noch nicht vor.

Herausforderungen in der Praxis
Es ist zu begrüßen, dass die Koalition mit der Bildungszeit versucht, dem immer deutlich spürbarerem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und auch in Zukunft mit dem rasanten Wandel von Wirtschaft und Arbeitswelt Schritt zu halten. Insbesondere aufgrund Digitalisierung und ökologischem Umbau der Industrie, dürfte lebenslanges Lernen im Interesse aller Sozialpartner liegen. Vor den erheblichen Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung sollte man die Augen allerdings nicht verschließen.

Zum einen besteht die Gefahr, durch dieses Instrument im Wesentlich nur die bereits ohnehin Hochqualifizierten zu erreichen, u. a. weil sie bildungsnäher sind und sich eine Bildungszeit eher wirtschaftlich leisten können. Besonderer Bedarf für Weiterbildung besteht aber bei weniger und Geringqualifizierten. Da bei diesen Personengruppen das Einkommen i.d.R. geringer ausfällt, wäre folglich auch das Weiterbildungsgeld während der Bildungszeit deutlich niedriger. Ob dies genügend Anreiz für eine Weiterbildung setzt, scheint fraglich. Neben finanzieller Unterstützung wird es aber vorrangig darauf ankommen, Bildungsangebote auf breiter Front bekannt zu machen und die Beschäftigten individuell anzusprechen und zu beraten. Dies soll die Nationale Weiterbildungsstrategie, die bereits 2019 erlassen wurde, leisten. Das Bündel von Maßnahmen und Gesetzesinitiativen, die daraus bereits hervorgegangen bzw. geplant sind, ist in der Praxis bislang aber wenig bekannt (siehe hierzu: Umsetzungsbericht Nationale Weiterbildungsstrategie von Juni 2021)

Zum anderen bestehen gerade für Kleinunternehmer und den Mittelstand erhebliche praktische Probleme, Freistellungsphasen von ein bis zwei Jahren zu ermöglichen, schlicht weil die Ersatzkräfte am Jobmarkt fehlen. Bereits heute kämpfen Arbeitgeber mit erheblichen Recruitingherausforderungen und Fachkräftemangel. Wenn sie ihren Teil dazu beitragen, Weiterbildung zu ermöglichen, sollte die Freistellungspflicht mit einer Rückkehrpflicht und befristeten Bindungsfristen aufseiten der Beschäftigten verbunden werden. Dies steigerte die Motivation der Arbeitgeber, die Weiterbildung organisatorisch, persönlich und ggf. auch finanziell zu unterstützen. Angesichts der sehr komplexen Rechtsprechung zu Rückzahlungsvereinbarungen und Bindungsfristen täte der Gesetzgeber gut daran, zusammen mit der Bildungszeit auch insoweit transparente und praktisch umsetzbare Voraussetzungen zu regeln.