- 24. November 2023
- Arbeitsrecht
Der Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer des Urlaubsrechts
Die Definition des Arbeitnehmerbegriffs und die Anwendbarkeit arbeitsrechtlicher Bestimmungen auf Geschäftsführer geben regelmäßig Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen. So auch in einem zuletzt vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall, in dem es über das Bestehen eines Urlaubsabgeltungsanspruchs einer Geschäftsführerin zu befinden hatte (BAG v. 25.07.2023 – 9 AZR 43 / 22). Auch der Fremdgeschäftsführer einer GmbH kann hiernach Arbeitnehmer im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes sein.
Sachverhalt
Geklagt hatte die ehemalige Fremdgeschäftsführerin einer GmbH auf Zahlung von Urlaubsabgeltung. Grundlage ihrer Anstellung als Geschäftsführerin war ein mit der beklagten Gesellschaft geschlossener Dienstvertrag. Dabei hatte die Klägerin eine tägliche Arbeitszeit von 07:00 bis 18:00 Uhr einzuhalten, vormittags „Kaltakquise“ zu betreiben und nachmittags ebenfalls ihre Leistungen anzubieten sowie Außendiensttätigkeiten in Form von Kundenbesuchen und Kontroll- und Überwachungsaufgaben zu erbringen. Wöchentlich schuldete sie den Nachweis von 40 Telefonaten und 20 Kundenbesuchen. Ferner führte sie Vorstellungsgespräche und Einstellungsverhandlungen. Neben einer Festvergütung erhielt die Klägerin eine vom Geschäftsergebnis abhängige Tantieme.
Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses machte die Klägerin die Abgeltung von noch offenen Urlaubsansprüchen geltend. Dabei berief sie sich darauf, dass sie einem Arbeitsverhältnis entsprechend weisungsgebunden beschäftigt gewesen sei und daher als Arbeitnehmerin Urlaubsabgeltung verlangen könne.
Die Beklagte hielt dem entgegen, dass kein Arbeitsverhältnis bestanden und es sich sowohl nach den vertraglichen Grundlagen als auch nach der tatsächlichen Vertragsdurchführung um ein Dienstverhältnis gehandelt habe.
Entscheidung
Wie bereits die Vorinstanzen gab auch das BAG der Klägerin recht und bejahte den Anspruch auf Urlaubsabgeltung.
Der Anspruch ergebe sich auch für eine Fremdgeschäftsführerin direkt aus § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Nach dieser Vorschrift ist der Urlaub abzugelten, wenn dieser wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewährt werden kann. Die entscheidende Frage war somit, ob es sich vorliegend um ein Arbeitsverhältnis handelte, mithin, ob die Geschäftsführerin Arbeitnehmerin im Sinne des BUrlG ist. Gemäß § 2 BUrlG sind Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes in erster Linie Arbeiter und Angestellte. (Fremd-)Geschäftsführer stellen nach dem nationalen Recht in aller Regel keine Arbeitnehmer dar, da diese Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen.
Anderes gilt laut BAG jedoch im Anwendungsbereich des Bundesurlaubsgesetzes: Maßgeblich sei nicht der nationale, sondern der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff, da das Bundesurlaubsgesetz die Vorgaben des Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie der Europäischen Union (RL 2003/88/EG, nachfolgend Arbeitszeitrichtlinie) umsetze und die gesetzlichen Vorschriften damit einer unionsrechtlichen Auslegung unterliegen würden. Nach dem unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ist Arbeitnehmer jeder, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt und dabei während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Diese Voraussetzungen können auch von einem Mitglied eines Leitungsorgans erfüllt werden. Dabei sind die Bedingungen, unter welchen das Mitglied bestellt wurde, die Art der ihm übertragenen Aufgaben und der Rahmen für deren Ausführung, der Umfang der Befugnisse des Mitglieds und die Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliegt, entscheidend. Außerdem ist zu berücksichtigen, unter welchen Umständen das Mitglied abberufen werden kann und in welchem Umfang der geschäftsführende Gesellschafter über seine Anteile an der Willensbildung der Gesellschaft wahrnimmt.
In der zu beurteilenden Konstellation der Klägerin kam das BAG zum Ergebnis, dass sie als Arbeitnehmerin im Sinne des Unionsrecht zu qualifizieren sei. Sie übe eine weisungsgebundene Tätigkeit aus und ihre Aufgaben entsprechen im Wesentlichen den typischen Aufgaben eines Angestellten. Die festen Vorgaben hinsichtlich der zeitlichen und inhaltlichen Gestaltung des Arbeitstages sowie die Art und Anzahl der zu erledigenden Aufgaben seien hierfür ausschlaggebend. Überdies könne die offenbar nicht an der Gesellschaft teilhabende Klägerin gemäß dem geltenden Gesellschaftsvertrag jederzeit abberufen werden.
Einordnung in die bisherige Rechtsprechung
Dass Fremdgeschäftsführer im Lichte des EU-Rechts als Arbeitnehmer qualifiziert werden, wurde bereits in vorausgehenden Entscheidungen des EuGH, des BAG und zuletzt auch des regelmäßig für Vertretungsorgane zuständigen BGH verdeutlicht. Letzterer bejahte im Jahr 2019 die zumindest teilweise Anwendbarkeit des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) auf Fremdgeschäftsführer. Die nun ergangene Entscheidung des BAG fügt sich in diese Reihe ein.
Einschränkend ist für das Arbeitszeitrecht zu beachten, dass Art. 17 Abs. 1 Arbeitszeitrichtlinie abweichende Regelungen der Mitgliedstaaten im Bereich der Arbeitszeit für bestimmte Personengruppen zulässt. Auf diese Weise können insbesondere leitende Angestellte und somit erst recht auch Geschäftsführer dem vollen unionsrechtlichen Einfluss entzogen werden. Für den Bereich des Urlaubs gilt diese Abweichungskompetenz jedoch nicht.
Praxishinweis
Die praktischen Auswirkungen der Entscheidung des BAG sind nicht zu unterschätzen.
Fremdgeschäftsführer sind (anders als etwa der Vorstand der AG) in der Regel bereits wegen ihrer Weisungsgebundenheit gegenüber der Gesellschafterversammlung unionsrechtlich als Arbeitnehmer zu betrachten. Damit gelten auch für diese die (zwingenden) Bestimmungen des BUrlG, was u.a. bei der Entstehung und Übertragung sowie der Gewährung von Urlaubsansprüchen von Bedeutung ist. Aus Arbeitgebersicht wird insbesondere darauf zu achten sein, dass der Geschäftsführer frühzeitig über das Bestehen seiner Urlaubsansprüche und deren möglichen Verfall unterrichtet wird, um den geltenden Mitwirkungsobliegenheiten gerecht zu werden. Zuständig für die Unterrichtung dürfte in diesem Fall nicht der Geschäftsführer selbst, sondern die Gesellschafterversammlung sein.
Vor diesem Hintergrund empfiehlt sich, die konkreten vertraglichen und tatsächlichen Gegebenheiten auch für Fremdgeschäftsführer frühzeitig auf Vereinbarkeit mit sämtlichen auch für Arbeitnehmer geltenden Bestimmungen zu überprüfen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten zur urlaubsrechtlichen Mitwirkungsobliegenheit verweisen wir auf unsere Blog-Beiträge vom 26.09.2019, 22.12.2022 und 01.02.2023.