• 23. April 2025
  • Arbeitsrecht

Der Koalitionsvertrag 2025: Ein Ausblick auf kommende arbeitsrechtliche Veränderungen

Nach langen und intensiven Verhandlungen haben sich die Parteispitzen von CDU/CSU und SPD am 9. April auf einen Koalitionsvertrag geeinigt. Unter dem Titel „Verantwortung für Deutschland“ steht damit der Fahrplan der neuen Bundesregierung fest – auch mit weitreichenden Vorhaben im Arbeitsrecht, sofern das Mitgliedervotum, das bis zum 29. April läuft, sich für den Koalitionsvertrag aussprechen wird. Arbeitgeber*innen stehen damit vor der Herausforderung, sich frühzeitig auf neue gesetzliche Rahmenbedingungen einzustellen und bestehende Arbeitsstrukturen gegebenenfalls anzupassen. Wir geben einen Überblick über die wichtigsten arbeitsrechtlichen Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag – und ordnen ihre Bedeutung für die Praxis ein.

 

Arbeitszeitrecht


Die langerwartete Reform des Arbeitszeitrechts gehört zu den zentralen arbeitsrechtlichen Vorhaben der neuen Koalition. Ziel ist es, eine modernere, flexiblere Arbeitszeitgestaltung zu ermöglichen unter Beibehaltung des Gesundheitsschutzes. Konkret sieht der Koalitionsvertrag vor, den gesetzlichen Rahmen für Vertrauensarbeitszeit zu erweitern und in bestimmten Fällen die Möglichkeit zu schaffen, die Höchstarbeitszeitgrenze von einem Tages- auf einen Wochenbezug umzustellen. Diese Änderung soll im Einklang mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie erfolgen, die bereits eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden zulässt.

Gleichzeitig bleibt unklar, wie die Reform mit der verpflichtenden Arbeitszeiterfassung, die durch das Urteil des BAG vom 13. September 2022 (Az. 1 ABR 22/21) konkretisiert wurde, in Einklang gebracht werden soll. Auch die Vorgaben des EuGH mit Urteil vom 14.05.2019 - C-55/18 zum „objektiven, verlässlichen und zugänglichen System“ zur Zeiterfassung stehen im Raum. Der Koalitionsvertrag bekennt sich ausdrücklich zur Möglichkeit der Vertrauensarbeitszeit ohne Zeiterfassung, lässt aber offen, wo genau die Grenze zwischen zulässiger Vertrauensarbeitszeit und erfassungspflichtiger Tätigkeit verlaufen soll. Für kleinere und mittlere Unternehmen sollen angemessene Übergangsfristen gelten, bei größeren Arbeitgeber*innen ist hingegen mit einem zügigen Inkrafttreten zu rechnen. In der Praxis dürfte die Einführung oder Umstellung auf elektronische Zeiterfassungssysteme vielfach die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auslösen.

 

Mindestlohn

Zwar bleibt die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns formal weiterhin eine Entscheidung der Mindestlohnkommission. Die Koalition hat sich jedoch darauf verständigt, dass sich die Kommission künftig nicht nur an der Tarifentwicklung, sondern zusätzlich am Bruttomedianlohn orientieren soll – mit dem Ziel, im Jahr 2026 einen Stundenlohn von 15 Euro zu erreichen.
Insbesondere tarifgebundene Unternehmen sollten diese Entwicklung im Blick behalten. Höhere gesetzliche Mindestlöhne führen regelmäßig zu entsprechenden Anpassungen der unteren Entgeltgruppen in Tarifverträgen – mit potenziell weitreichenden Effekten auf die gesamte Vergütungsstruktur.

 

Steuerfreiheit von Mehrarbeitszuschlägen

Um einen Anreiz für Mehrarbeit zu schaffen, sollen Zuschläge für Mehrarbeit, die über die tariflich festgelegte oder an Tarifverträgen orientierte reguläre Vollzeitarbeitszeit hinausgehen, steuerfrei gestellt werden. Bei tariflichen Regelungen soll eine Wochenarbeitszeit von mindestens 34 Stunden als Vollzeitarbeit gelten. Für Arbeitszeiten, die nicht tariflich festgelegt sind, wird eine Vollzeitarbeitszeit von 40 Stunden zugrunde gelegt. Die genaue Ausgestaltung dieser Regelung soll in enger Abstimmung mit den Sozialpartnern auf eine praxisnahe Lösung hin entwickelt werden. Zudem soll ein neuer steuerlicher Anreiz geschaffen werden, um Teilzeitbeschäftigte zu einer Erhöhung ihrer Arbeitszeit zu ermutigen. Wenn Arbeitgeber*innen eine Prämie zur Ausweitung der Arbeitszeit zahlen, wird diese voraussichtlich steuerlich begünstigt. Gleichzeitig sollen Maßnahmen ergriffen werden, um möglichen Missbrauch auszuschließen.

Damit ist eine präzise und transparente Dokumentation der geleisteten Arbeitsstunden, insbesondere der Mehrarbeitszeiten, unerlässlich, um die steuerliche Begünstigung korrekt nachweisen zu können und Missbrauch zu vermeiden.

 

Erleichterte Weiterbeschäftigung nach Renteneintritt

Ein weiterer arbeitsrechtlich relevanter Punkt im Koalitionsvertrag 2025 betrifft die flexiblere Weiterbeschäftigung über die Regelaltersgrenze hinaus. Die Koalitionsparteien haben sich darauf verständigt, rechtssichere Rahmenbedingungen für eine freiwillige Weiterarbeit nach Renteneintritt zu schaffen. Geplant ist insbesondere eine Entbürokratisierung der befristeten Weiterbeschäftigung über die Regelaltersgrenze hinaus. Konkret soll insoweit das Vorbeschäftigungsverbot bei sachgrundlosen Befristungen aufgehoben werden, um dadurch auch die Rückkehr zum bisherigen Arbeitgeber und ein befristetes Weiterarbeiten nach Erreichen der Regelaltersgrenze zu ermöglichen.  

Außerdem soll die Steuerfreiheit eines Gehalts von bis zu € 2.000 für Personen, die nach Erreichen des gesetzlichen Rentenalters freiwillig weiterarbeiten, finanzielle Anreize schaffen.

 

Bürokratieentlastung

Ein zentrales Versprechen der neuen Koalition ist der umfassende Abbau bürokratischer Hürden, insbesondere für Unternehmen.

Ein besonderes Hemmnis stellt in vielen arbeitsrechtlichen Bereichen nach wie vor die gesetzlich vorgeschriebene Schriftform (§ 126 BGB) dar. Die Koalition kündigt an, die Schriftformerfordernisse im Arbeitsrecht umfassend zu reduzieren oder ganz abzuschaffen, z. B. bei Befristungen nach § 14 IV Teilzeitbefristungsgesetz (TzBfG). Konkrete Planungen beinhaltet der Koalitionsvertrag insoweit nicht und es dürfte eher unwahrscheinlich sein, dass etwa das Schriftformerfordernis für Kündigungen und Aufhebungsvereinbarungen aufgehoben wird.

 

Reduzierung von Betriebsbeauftragten

Derzeit bestehen zahlreiche gesetzliche Verpflichtungen zur Bestellung betrieblicher Beauftragter – etwa für Datenschutz, Arbeitssicherheit, Umwelt- oder Immissionsschutz. Die Koalition kündigt an, im Rahmen des nationalen „Sofortprogramms für den Bürokratierückbau“ bis Ende dieses Jahres die Verpflichtungen zur Bestellung von Betriebsbeauftragten auf den Prüfstand zu stellen, um diese künftig nur noch bei tatsächlich risikobehafteten Tätigkeiten vorzuschreiben. Ziel ist eine deutliche Entlastung, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Welche Beauftragten davon konkret betroffen sein könnten, bleibt bislang allerdings offen.

Insbesondere im Datenschutzrecht könnten sich Unsicherheiten ergeben: Derzeit sind Unternehmen mit mindestens 20 Beschäftigten verpflichtet, einen betrieblichen Datenschutzbeauftragten zu benennen (§ 38 BDSG). Sollte diese Schwelle angehoben oder die Pflicht zur Benennung ganz entfallen, fällt damit auch der damit verbundene Sonderkündigungsschutz (§ 6 Abs. 4 BDSG) für die betroffene Person weg. Allerdings bleiben die Verpflichtung zur Bestellung eines Datenschutzbeauftragten nach Art. 37 Abs. 1 DS-GVO und das Abberufungs- und Benachteiligungsverbot nach Art. 38 Abs. 3 S. 2 DS-GVO davon unberührt.

Eine solche Neuausrichtung hätte rechtlich wie praktisch erhebliche Konsequenzen. Arbeitgeber*innen sollten mögliche Gesetzesänderungen daher aufmerksam verfolgen und – insbesondere bei Wegfall von Beauftragtenfunktionen – auch arbeitsrechtliche Folgefragen (Kündigungsschutz, Vertragsanpassung etc.) im Blick behalten.

 

Überarbeitung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (LkSG)

Auch das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das seit 2023 in Kraft ist, soll auf den Prüfstand kommen. Es verpflichtet derzeit große Unternehmen, Menschenrechte und Umweltstandards in ihren Lieferketten zu beachten – mit teils erheblichen Auswirkungen auch auf mittelständische Zulieferer. Die neue Koalition strebt eine praxisnahe Anpassung des LkSG an. Insbesondere sollen die Sorgfaltspflichten differenzierter ausgestaltet werden, um kleine und mittlere Unternehmen vor übermäßiger Bürokratie zu schützen. Gleichzeitig soll eine Abstimmung mit der geplanten EU-Richtlinie zur Lieferkettensorgfalt (CSDDD) erfolgen, um Doppelregulierungen zu vermeiden. Noch bleibt offen, in welcher Form die Entlastung konkret erfolgen soll – denkbar sind etwa risikobasierte Schwellenwerte oder sektorspezifische Ausnahmen.

 

Mitbestimmung und digitale Beteiligung

Im Bereich der betrieblichen Mitbestimmung will die Koalition digitale Beteiligungsformate dauerhaft ermöglichen. Betriebsratssitzungen, Betriebsversammlungen und -wahlen sollen künftig rechtssicher digital durchgeführt werden können. Diese bereits während der Corona-Pandemie eingeführten Optionen sollen gesetzlich im Betriebsverfassungsgesetz verankert werden.

Darüber hinaus soll Gewerkschaften ein digitaler Zugang zu den Betrieben gewährt werden, der ihren analogen Rechten entspricht. Dieses Vorhaben reagiert auf eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, in der ein digitales Zugangsrecht verneint wurde. Das Bundesarbeitsgericht hatte den Anspruch der klagenden Gewerkschaft auf Mitteilung der dienstlichen E-Mailadressen der Mitarbeitenden abgelehnt.  

 

Statusfeststellungsverfahren – Weniger Rechtsunsicherheit

Von erheblicher praktischer Relevanz ist die geplante Reform des sozialversicherungsrechtlichen Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV. Angestoßen durch das sogenannte „Herrenberg-Urteil“ des Bundessozialgerichts vom 28. Juni 2022 - B 12 R 3/20 R, das die Einzelfallbetrachtung bei der Abgrenzung von Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung in den Mittelpunkt stellte, soll das Verfahren künftig schneller, transparenter und rechtssicherer ausgestaltet werden. Im Gespräch ist auch die Einführung einer Genehmigungsfiktion, sollte über einen Antrag nicht innerhalb eines bestimmten Zeitraums entschieden werden.

Für Unternehmen bietet dies die Chance, potenzielle Risiken – etwa Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen – frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden. Gerade in Bereichen mit vielen freien Mitarbeitenden, Freelancern oder projektbasiert eingesetzten Dienstleistungen kann ein verlässliches Statusverfahren erhebliche Unsicherheiten beseitigen.

 

Fazit

Auch wenn der Koalitionsvertrag keinen grundlegenden arbeitsrechtlichen Umbruch einleitet, enthält er doch eine Reihe von Maßnahmen, die Unternehmen konkret betreffen werden. Insbesondere die geplanten Regelungen zur Arbeitszeiterfassung, zur Flexibilisierung der Arbeitszeit, zur Tarifbindung und zur digitalen Mitbestimmung erfordern bereits jetzt Aufmerksamkeit. Über allen Themen steht der Bürokratieabbau. Inwieweit die neue Bundesregierung dies umzusetzen vermag, bleibt abzuwarten.

Arbeitgeber*innen sollten die Umsetzung der Vorhaben im Gesetzgebungsverfahren aufmerksam beobachten und rechtzeitig prüfen, ob und in welcher Form Anpassungen von Arbeitsverträgen, Betriebsvereinbarungen oder internen Prozessen notwendig werden. Dabei stehen wir Ihnen gerne zur Seite. 

 

Weiterführende Links
Koalitionsvertrag 2025: "Verantwortung für Deutschland"