• 01. April 2022
  • Vergaberecht

Erlass des Bundes-Bauministeriums über „Lieferengpässe und Preissteigerungen wichtiger Baumaterialien als Folge des Ukraine-Kriegs“

Nicht zuletzt aufgrund der Kriegsereignisse in der Ukraine und der in der Folge verhängten weltweiten Sanktionen gegen Russland sind die Preise vieler Baumaterialien zum Teil stark angestiegen. Um den Auswirkungen für laufende und kommende Baumaßnahmen des Bundes zu begegnen, hat das Bundesministerium für Wohnen Stadtentwicklung und Bauwesen mit Erlass vom 25.03.2022 (Az. BWI7-70437/9#4) für spezifische Produktgruppen Sonderregelungen in Kraft gesetzt. Diese gelten vorläufig bis zum 30.06.2022.

Erfasste Produktgruppen

Namentlich bezieht sich der Erlass auf die folgenden Produktgruppen:

  • Stahl und Stahllegierungen,
  • Aluminium,
  • Kupfer,
  • Erdölprodukte (Bitumen, Kunststoffrohre, Folien und Dichtbahnen, Asphaltmischgut),
  • Epoxidharze,
  • Zementprodukte,
  • Holz sowie
  • gusseiserne Rohre

Vorsehung von Preisgleitklauseln

Der Erlass fordert insbesondere, dass in Bauverträgen zu Bundes-Bauvorhaben künftig Preisgleitklauseln vorzusehen sind, soweit diese Bauverträge von dem Erlass erfasste Produktgruppen beinhalten/betreffen.

Dies gilt nicht nur für noch auszuschreibende Bauvorhaben, tatsächlich ist vorgesehen, auch bei bereits eingeleiteten Vergabeverfahren nachträglich noch Stoffpreisgleitklauseln in die ausgeschriebenen Verträge einzubeziehen, sofern die Angebote noch nicht geöffnet wurden. Bieteranfragen zur Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln zu o. g. Produktgruppen soll deshalb grundsätzlich gefolgt werden. 

Stoffpreisgleitklauseln werden nur dann für verzichtbar erachtet, wenn der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Lieferung/Fertigstellung einen Monat unterschreitet, weil dann das Kalkulations- bzw. Preisänderungsrisiko überschaubar erscheint, oder wenn der Stoffkostenanteil des betroffenen Stoffes wertmäßig maximal ein Prozent der von der Vergabestelle geschätzten Auftragssumme beträgt.

Anpassung bereits geschlossener Bauverträge

Auch zu bereits geschlossenen Bauverträgen trifft der Erlass Regelungen:

Sofern Materialien aus den genannten Produktgruppen nachweislich nicht oder vorübergehend nicht – auch nicht gegen höhere Einkaufspreise als kalkuliert –, durch das Unternehmen zu beschaffen sind, wertet der Erlass dies als einen Fall höherer Gewalt bzw. als ein nicht abwendbares Ereignis im Sinne von § 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. c) VOB/B. Als Rechtsfolge verlängert sich damit die Ausführungsfrist um die Dauer der Nichtlieferbarkeit der Stoffe zuzüglich eines angemessenen zeitlichen Aufschlags für die Wiederaufnahme der Bauarbeiten. Schadensersatz- oder Entschädigungsansprüche gegen den Auftragnehmer kommen dem Auftraggeber nicht zu. 

Sind die Materialien aus den relevanten Produktgruppen zwar zu beschaffen, müsste der Auftragnehmer jedoch höhere Einkaufspreise zahlen als kalkuliert, kann die ein Fall der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) sein. Denn, so der Erlass, Auftraggeber und Auftragnehmer hätten den Vertrag in der Annahme geschlossen, dass sich die erforderlichen Baumaterialien grundsätzlich beschaffen lassen und ihr Preise nur den allgemeinen Unwägbarkeiten des Wirtschaftslebens unterliegt; hätten sie indes gewusst, dass die kommenden Kriegsereignisse in der Ukraine solch unvorhersehbaren Einfluss auf die Preisentwicklung nehmen würden, hätten sie den Vertrag nicht mit diesem Inhalt geschlossen.

Ob tatsächlich ein Anspruch auf Vertragsanpassung bzgl. einer Mehrvergütung besteht, ist aber letztlich von den Umständen des Einzelfalls und der konkreten Preissteigerung abhängig. Dabei ist insbesondere beachtlich, dass nicht auf eine einzelne Preisposition, sondern auf eine Gesamtbetrachtung des Vertrages und dessen Wirtschaftlichkeit für den Auftragnehmer abzustellen ist. Eine ohne Vertragsanpassung drohende Insolvenz des Auftragnehmers ist zwar nicht Voraussetzung für einen Anpassungsanspruch, jedoch genügt es nicht, wenn die höheren Materialpreise (nur) den kalkulierten Gewinn des Auftragnehmers aufzehren.

Sollte man zum Ergebnis einer gestörten Geschäftsgrundlage gelangen, hat der betreffende Auftragnehmer einen Anspruch auf Preisanpassung für die betroffenen Materialpositionen. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Auftraggeber dann sämtliche die ursprüngliche Kalkulation übersteigenden Kosten zu tragen hätte. Die Höhe der Vertragsanpassung ist für den Einzelfall festzusetzen, wobei vor allem der Gesichtspunkt der Zumutbarkeit zu berücksichtigen ist. Eine Übernahme von mehr als der Hälfte der Mehrkosten erachtet der Erlass für unangemessen.

Sollte die Zumutbarkeit durch die Preisanpassung nicht wiederhergestellt werden können, steht dem Auftragnehmer nach § 313 Abs. 3 BGB ein Rücktrittsrecht vom Vertrag bzw. ein Sonderkündigungsrecht zu.

Nachträgliche Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln

Nach dem Erlass sind die Vertragsparteien dazu angehalten, ggf. auch nachträglich, im laufenden Vertragsvollzug, eine Stoffpreisgleitklausel zu vereinbaren. Der Erlass führt dazu aus, wie eine solche nachträgliche Vereinbarung vergaberechtlich vor dem Hintergrund des § 132 GWB über wesentliche Vertragsänderungen zu beurteilen ist:

Nach § 132 Abs. 1 Nr. 2 GWB liegt eine wesentliche Vertragsänderung etwa dann vor, wenn mit der Änderung das wirtschaftliche Gleichgewicht des Auftrags zugunsten des Auftragnehmers in einer Weise verschoben wird, die in dem ursprünglichen Auftrag nicht vorgesehen war. Da nach dem Erlass aber die nachträgliche Vertragsanpassung unter Nutzung des § 313 BGB gerade dazu führen soll, das ursprüngliche wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrages wiederherzustellen und dieses nicht zugunsten des Auftragsnehmers verschoben werden soll, geht der Erlass davon aus, dass die nachträgliche Einbeziehung einer Preisgleitklausel grundsätzlich keinen Fall einer wesentlichen Vertragsänderung darstellt.

Sollte jedoch ausnahmsweise eine wesentliche Vertragsänderung anzunehmen sein, so ist diese ohne Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zulässig, soweit sie aufgrund von Umständen erforderlich geworden ist, die der Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht vorhersehen konnte, und sich aufgrund der Änderung der Gesamtcharakter des Auftrags nicht verändert (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 GWB). Der Erlass stellt richtigerweise fest, dass die Kriegsereignisse in der Ukraine und ihre wirtschaftlichen Folgen für Auftraggeber und Auftragnehmer in gleicher Weise unvorhersehbar waren.

Wirkung des Erlasses auf andere als Bundes-Bauvorhaben

Der Erlass des Bundes-Bauministeriums richtet sich zuständigkeitshalber allein an Bundesbehörden und dem Bund zuzurechnende öffentliche Stellen. Eine direkte Wirkung auf Bauvorhaben der Länder und Kommunen geht von dem Erlass deshalb nicht aus. Es ist jedoch zu erwarten, dass kurzfristig die Länder nachziehen und vergleichbare Erlasse für ihren Zuständigkeitsbereich veröffentlichen werden. Das in dem Erlass skizzierte Vorgehen bezüglich durch die Kriegsereignisse betroffener Baumaterialien dürfte gegenwärtig den einzig vernünftigen Umgang mit der gegenwärtigen Situation darstellen, um bei laufenden öffentlichen Bauvorhaben bereits gebundene Auftragnehmer wirtschaftlich nicht zu überfordern bzw. bei laufenden oder noch anstehenden Ausschreibungen überhaupt Angebote zu erhalten. Vergabeverfahren, bei denen keine Preisgleitklauseln vorgesehen sind, dürfte gegenwärtig kaum Erfolg beschert sein.