• 01. Dezember 2025
  • Umsatzsteuerrecht

EuGH-Urteil FLO VENEER: Nachweispflichten und Rechnungsdokumentation im Umsatzsteuerrecht

Präzisierung der Nachweispflichten bei innergemeinschaftlichen Lieferungen
Mit Urteil vom 13. November 2025 in der Rechtssache FLO VENEER (C-639/24) schärft der Gerichtshof der Europäischen Union die Konturen der Nachweispflichten für die Steuerbefreiung innergemeinschaftlicher Lieferungen und setzt zugleich einem übersteigerten Formalismus deutliche Grenzen. Art. 45a MwSt-DVO wird ausdrücklich als widerlegbare Vermutungsregel verstanden, die dem Steuerpflichtigen einen normativ abgesicherten Ausgangspunkt eröffnet, ohne den Nachweis der grenzüberschreitenden Warenbewegung auf einen abschließenden Katalog von sog. „Quick-Fix“-Belegen zu verengen. Auch Unterlagen, die nicht schematisch dem Formbild der Verordnung entsprechen, sind zu berücksichtigen, sofern sie in ihrer Gesamtheit ein konsistentes und belastbares Bild des tatsächlichen Gelangens der Ware in einen anderen Mitgliedstaat vermitteln. Die Entscheidung unterstreicht damit, dass der materiell-rechtliche Steuerbefreiungstatbestand nicht an formellen Detailfragen scheitern darf, sofern der zugrunde liegende grenzüberschreitende Vorgang objektiv feststeht.


Die Rechnung als zentrales Steuerungsinstrument im Umsatzsteuerrecht
Vor diesem Hintergrund tritt die Rechnung im Umsatzsteuerrecht erneut als zentrales Steuerungsinstrument hervor. Sie ist nicht lediglich Abrechnungsdokument, sondern Anknüpfungspunkt für die Inanspruchnahme von Steuerbefreiungen, für den Vorsteuerabzug sowie für die systematische Zuordnung von Liefer- und Leistungsbeziehungen innerhalb komplexer Unternehmensstrukturen. Formelle Defizite der Rechnung oder der begleitenden Dokumentation können erhebliche finanzielle Belastungen nach sich ziehen, etwa durch die Versagung der Steuerbefreiung oder des Vorsteuerabzugs und daran anknüpfende Nachforderungen nebst Zinsen. Zugleich macht die aktuelle Rechtsprechung des EuGH deutlich, dass das Mehrwertsteuersystem darauf angelegt ist, wirtschaftlich zutreffende Vorgänge auch steuerlich zutreffend abzubilden. Formale Anforderungen sind zwar strikt zu beachten, dürfen jedoch nicht in einer Weise verselbständigt werden, die materiell richtige Sachverhalte aus rein formalen Gründen dauerhaft verfehlt.

Für die Praxis bedeutet dies, dass Unternehmen ihre Rechnungs- und Nachweisprozesse weiterhin konsequent an den unionsrechtlichen und nationalen Vorgaben auszurichten haben, um die Vermutungswirkung der Quick-Fix-Regelungen verlässlich in Anspruch nehmen zu können, zugleich aber in Betriebsprüfungen und Rechtsbehelfsverfahren verstärkt auf eine materiell-rechtliche Würdigung des Gesamtbildes der Verhältnisse drängen sollten, wenn die Dokumentation zwar nicht lückenlos idealtypisch, aber in der Sache tragfähig ist.

Eine umfassende Einordnung dieser EuGH-Entscheidung und eine vertiefte Darstellung ihrer Auswirkungen auf die Nachweis- und Rechnungsprozesse von Unternehmen enthält der Aufsatz von Dr. Thomas Peschke in der aktuellen Ausgabe von „Der Betrieb“ (DB vom 01.12.2025, Heft 49, DB1481559).