• 08. April 2022
  • Gewerblicher Rechtsschutz

„Flying V“-Gitarre: Nachahmungen im Luxussegment erlaubt?

Eine Nachahmung ist nur dann unlauter, wenn bestimmte unlauterkeitsbegründende Umstände hinzukommen. In einer aktuellen Entscheidung stellt der BGH klar, dass solche Umstände bei hochwertigen Nachahmungen im Hochpreissegment, die keine identischen Kopien des Originals sind, nicht ohne weiteres anzunehmen sind.

Worum geht es?

Die Klägerin vertreibt unter der Marke „Gibson“ die E-Gitarre „Flying V“. Diese verdankt ihren Namen der Form. Der Korpus ist wie ein „V“ geformt, dessen spitzes Ende in den Hals der Gitarre mündet. Die Kopfplatte am Ende des Halses läuft ebenfalls spitz zu. Die „Flying V“ wurde Ende der 1950er entwickelt und erlangte in den 1960ern große Bekanntheit durch bekannte Gitarristen wie Jimmy Hendrix. Die Klägerin bietet die „Flying V“ unter der Marke „Gibson“ im Preissegment zwischen 1.500 € und 3.500 € an.

Die Beklagte bot im Jahr 2014 ebenfalls eine Gitarre in der Form eines „V“ unter der Bezeichnung „Flying V“ unter der Marke „FRAMUS“ für Preise ab 2.500 € an.

Die Klägerin sah hierin eine unlautere Nachahmung ihrer „Flying V“. Sie stützte sich allein auf wettbewerbsrechtliche Ansprüche.

Die Entscheidung

Der BGH verneinte wettbewerbsrechtliche Ansprüche (Urt. v. 22.9.2021 I ZR 192/20).

Zwar habe die „Flying V“ der Klägerin wettbewerbliche Eigenart und werde immer noch als das Original erkannt. Weiter liege auch eine Nachahmung im Sinne des § 4 Nr. 3 UWG vor. Die Nachahmung sei allerdings nicht nahezu identisch, sondern nachschaffend, da sie sich zwar am Original orientiere, jedoch auch einige Unterschiede aufweise. Diese Nachahmung sei zulässig, da keine zusätzlichen Umstände hinzukämen, die eine Unlauterkeit begründen könnten.

Eine Täuschung über die betriebliche Herkunft im Sinne des § 4 Nr. 3 a) UWG sei ausgeschlossen, da die maßgeblichen Verbraucherkreise – Gitarristen mit Interesse an hochpreisigen Gitarren – nicht allein aufgrund der Form auf die Herkunft schließen würden, sondern sich vor dem Kauf genau mit dem Produkt und dem Hersteller befassen würden.

Eine unangemessene Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung der nachgeahmten „Flying V“ im Sinne des § 4 Nr. 3 b) UWG liege ebenfalls nicht vor. Es handle sich bei der Gitarre der Beklagten nicht um ein minderwertiges Produkt, auf das die Qualitätsvorstellungen des Originals übertragen würden.

Es sei auch nicht davon auszugehen, dass Verbraucher sich die Gitarre der Beklagten kaufen würden, um mit dieser bei Dritten, die diese mit der Original „Flying V“ verwechseln, Eindruck zu schinden. Aufgrund der Abweichungen zum Original sei die Gitarre der Beklagten nicht geeignet, Dritte zu täuschen. Außerdem sei nicht ersichtlich, warum jemand die Gitarre der Beklagten zur Täuschung kaufen solle, wenn er zum gleichen Preis auch das Original erhalte.

Eine gezielte Mitbewerberbehinderung im Sinne des § 4 Nr. 4 UWG liege ebenfalls nicht vor. Dass die Klägerin durch das Angebot hochpreisiger und hochwertiger nachschaffender Nachahmungen an ihrer Entfaltung am Markt gehindert werde, sei nicht ersichtlich.

Fazit und Praxistipp

Der BGH hat den Grundsatz der wettbewerblichen Nachahmungsfreiheit in einer recht speziellen Konstellation bestätigt. Häufig werden Nachahmungen nicht die Qualität des Originals erreichen und zu einem niedrigeren Preis angeboten, so dass Unlauterkeitsmerkmale eher angenommen werden können.

Wer sich auch gegen hochwertige und hochpreisige Nachahmungen schützen will, der sollte erwägen, ein Design anzumelden. Durch die Registrierung eines EU-Designs (auch „Gemeinschaftsgeschmacksmuster“ genannt) kann für Gestaltungen, die neu sind und Eigenart haben, für bis zu 25 Jahre ein europaweites Ausschließlichkeitsrecht erworben werden (siehe unten).

Bei der „Flying V“ wäre diese Schutzfrist inzwischen abgelaufen. In derartigen Fällen – oder wenn die Anmeldung eines Designs versäumt worden ist –  ist auch an das Urheberrecht zu denken. Dieses bietet Schutz bis 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers, ist aber im Prozess deutlich schwieriger durchzusetzen als das Design.

Vorteile des EU-Designs 

Mit einem EU-Design kann binnen weniger Wochen schnell und kostengünstig ein europaweites Ausschließlichkeitsrecht begründet und potentielle Nachahmer abgeschreckt werden. Hinzu kommt, dass man bei der europaweiten Durchsetzung eines EU-Designs nicht mit dem in Europa existierenden Urheberrechtsgefälle zu kämpfen hat, sondern ein einheitlicher Schutz gewährleistet ist. Weiterer wichtiger Vorteil bei der Rechtsdurchsetzung von EU-Designs ist die im Prozess von Gesetzes wegen vermutete Rechtsgültigkeit des EU-Designs. Der Begründungsaufwand für den Rechtsinhaber eines EU-Designs ist damit im Prozess deutlich niedriger und kostengünstiger als bei einer auf Urheberrechtsschutz gestützten Klage.