- 28. Februar 2022
- Compliance
Von Hecken, Zäunen und Chinese Walls
„Chinese Walls“ sind ein wenig bekanntes, aber wirkungsvolles Mittel, um Interessenkonflikte innerhalb eines Beratungsunternehmens zu entschärfen und einen Vertrauensverlust unter den Kunden zu verhindern.
Hin und wieder geraten Beratungsunternehmen in Interessenkonflikte, wenn sie in derselben Angelegenheit für zwei Kunden gleichzeitig auf unterschiedlichen Seiten tätig werden sollen. So zum Beispiel bei technischen Beratungsleistungen im Rahmen eines Unternehmenskaufs, wenn der Berater sowohl die Verkäufer- als auch die Käuferseite zu seinen Kunden zählt und nun beide Seiten unterstützen soll.
Hier ist es unter Compliance-Gründen und zur Kundenpflege oft empfehlenswert, jeden bösen Schein einer Beeinflussung durch den Interessenkonflikt auszuschließen. Dies kann durch die Einrichtung spezieller Vertraulichkeitsbereiche innerhalb des Unternehmens geschehen, die mit einer virtuellen Mauer („Chinese Wall“) geschützt werden.
Vorkommen und Funktionsweise von „Chinese Walls“
Das Rechtsinstrument der „Chinese Wall“ ist in Deutschland wenig bekannt. Es wird vor allem in speziellen Bereichen wie dem Investmentbanking und im Vergaberecht eingesetzt. Im Investmentbanking soll durch „Chinese Walls“ verhindert werden, dass sich die Bank und ihre Mitarbeiter durch Insidergeschäfte Vorteile gegenüber dem Kunden verschaffen können. Im Vergaberecht kann durch eine „Chinese Wall“ die Vermutung einer Voreingenommenheit beseitigt werden, wenn Gesellschaften desselben Konzerns auf Auftraggeber- und Bieterseite stehen.
Durch die „Chinese Wall“ werden bestimmte Bereiche eines Unternehmens hermetisch von anderen abgeriegelt, sodass kein Informationsaustausch möglich ist. Im besten Fall wissen die unterschiedlichen Bereiche des Unternehmens nicht einmal voneinander. So eine Abriegelung erfolgt durch eine räumliche und organisatorische Trennung, zum Beispiel durch die Verteilung von Mitarbeitern auf unterschiedliche Standorte (vielleicht sogar in unterschiedlichen Städten), durch separate Aktenführung (physisch wie elektronisch), getrennte Kommunikationswege, separate interne Telefonlisten und E-Mail-Verteiler, durch die Verhinderung von informellen beruflichen Kontakten (wie gemeinsamen Betriebsausflügen oder Weihnachtsfeiern) etc.
Die „Chinese Wall“ im klassischen Sinne bewirkt eine dauerhafte und überbetriebliche Trennung von Funktionsbereichen und ist daher ein tiefgreifendes und wirkungsvolles, aber auch recht aufwändiges Instrument, um die Vertraulichkeit von Informationen innerhalb des Unternehmens sicherzustellen.
Es lässt sich in abgespecktem Umfang aber auch auf Standortebene einsetzen. Auf diese Weise lassen sich beispielsweise Abteilungen innerhalb eines Unternehmens informationstechnisch voneinander entkoppeln.
„Chinese Walls“ in Beratungsunternehmen
Ein Beratungsunternehmen, das bei einem Projekt auf zwei Seiten steht, wird selbstverständlich seine Kunden über die geplante Doppeltätigkeit informieren und deren Zustimmung einholen. Außerdem muss es trotz der Doppeltätigkeit beide Kunden unabhängig, sachgerecht und interessenorientiert beraten. Zur Wahrung von Betriebsgeheimnissen ist es ohnehin verpflichtet. Weitergehende Maßnahmen, um Auswirkungen des Interessenkonflikts zu verhindern, sind – nach derzeitiger Rechtslage –daher nicht zwingend erforderlich.
Will das Unternehmen aber darüber hinaus Vertrauen erzeugen, kann es auf einzelne Elemente einer „Chinese Wall“ zurückgreifen. Damit lassen sich Strukturen schaffen, die innerhalb des Betriebs für eine weitgehende Trennung von Aufgaben und Informationsfluss sorgen und so effektiv als vertrauensbildende Maßnahmen gegenüber den Kunden dienen können.
Wichtig: Anders als beispielsweise im Investmentbanking muss diese freiwillige „Chinese Wall“ nicht unbedingt hermetisch dicht sein. Das Unternehmen kann die Reichweite der Maßnahmen selbst festlegen. Insbesondere darf ein informeller beruflicher Kontakt der Mitarbeiter untereinander außerhalb des konkreten Projekts (z. B. Flur- oder Küchengespräche) bestehen bleiben. Zu diesen Maßnahmen passt daher eher das Bild einer Hecke oder eines Maschendrahtzauns als einer Chinesischen Mauer, was aber für die Erreichung der Ziele im konkreten Fall vollkommen ausreichend ist.
Maßnahmen und Umsetzung
Sinnvolle Bausteine für eine innerbetriebliche „Chinese Wall“ sind typischerweise:
- die Schaffung separater Berater-Teams für die konkurrierenden Kundengruppen;
- die Anweisung der Teams zu strikter sachlicher Unabhängigkeit im Rahmen eines eindeutigen Prüfauftrags;
- die getrennte Führung von (elektronischen oder physischen) Akten;
- eine Entflechtung der schriftlichen Kommunikation per Brief und E-Mail;
- die Unterbindung des projektbezogenen Meinungsaustauschs zwischen den Teams;
- die räumliche Trennung der Teams im Rahmen der baulichen Gegebenheiten.
Dies lässt sich durch betriebliche Weisungen auf der Grundlage des allgemeinen Weisungsrechts bzw. „Direktionsrechts“ des Arbeitgebers nach § 611a BGB und § 106 GewO (Gewerbeordnung) umsetzen.
Optimalerweise sollten diese Weisungen so klar formuliert sein, dass sich notfalls auch eine arbeitsrechtliche Abmahnung darauf stützen lässt.
Gegenüber den Kunden kann so eine rechtsverbindlich eingerichtete „Chinese Wall“ dann als effektive und vertrauensbildende Compliance-Maßnahme beworben werden und die Voraussetzungen für das Einverständnis mit der Doppeltätigkeit schaffen.
Zusammenfassung
„Chinese Walls“ sind auch auf Betriebs- bzw. Standortebene ein wirkungsvolles Instrument zur Schaffung von Vertraulichkeitsbereichen innerhalb eines Beratungsunternehmens. Die einzelnen Maßnahmen können dabei flexibel an die eigenen Wünsche angepasst werden – feste rechtliche Vorgaben existieren nicht. Wenn die innerbetriebliche „Chinese Wall“ mit dem Anspruch auf Verbindlichkeit auf eine geeignete rechtliche Grundlage gestellt wird, ist sie als Compliance-Maßnahme zugleich ein wirksames Marketingmittel gegenüber den betroffenen Kunden und kann die Voraussetzungen dafür schaffen, dass sich die Kunden mit der konfliktträchtigen Doppeltätigkeit einverstanden erklären.
Haben Sie Fragen?
Der Verfasser und das gesamte Team von Esche Schümann Commichau beantworten gern Ihre Fragen rund um die Konzeption und Einrichtung Ihrer „Chinese Wall“.