• 04. November 2025
  • Vermögensnachfolge

Wer zivilrechtlich vorverstorben ist, ist noch lange nicht tot

Der Bundesfinanzhof (Urteil vom 31. Juli 2024 – II R 13/22) hat entschieden, dass ein Enkelkind nach dem Tod seines Großvaters nur den niedrigeren Erbschaftsteuerfreibetrag von EUR 200.000, geltend machen kann – obwohl dessen Vater auf sein eigenes Erbe verzichtet hatte und damit zivilrechtlich als vorverstorben galt. 

Sachverhalt
Ein Enkel (der Kläger) war zu einem Viertel als Erbe seines Großvaters eingesetzt worden. Sein Vater – also der Sohn des Erblassers – hatte schon Jahre zuvor notariell auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet. Der Enkel beantragte daher in seiner Erbschaftsteuererklärung den höheren Freibetrag von EUR 400.000, den Kinder von „verstorbenen Kindern“ erhalten (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Seine Begründung: Durch den Erbverzicht werde der Vater juristisch so behandelt, als wäre er beim Erbfall bereits verstorben. Doch das Finanzamt und der Bundesfinanzhof sahen dies anders und gewährten ihm nur den regulären Freibetrag für Enkelkinder in Höhe von EUR 200.000.

Entscheidung des Gerichts 
Das höchste deutsche Finanzgericht entschied, dass sich die zivilrechtliche Vorversterbensfiktion nicht auf die erbschaftsteuerlichen Freibeträge auswirkt. Die Freibetragsregelung für verwaiste Enkel setze voraus, dass die Eltern tatsächlich verstorben sind und nicht nur als verstorben gelten. 

Der BFH begründet sein Ergebnis durch eine – mustergültige – Auslegung des Gesetzeswortlautes von § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG. 

Mit Blick auf den Wortlaut („Kinder verstorbener Kinder“) betont der BFH, dass nach dem natürlichen Wortsinn nur von tatsächlich verstorbenen Kindern die Rede sei und nicht auch von als verstorben geltenden Kindern. 

Entscheidend ist für den BFH jedoch letztlich der Sinn und Zweck der Norm. Die erbschaftsteuerlichen Freibeträge sollen auch das Familienvermögen schützen und die Versorgung der nächsten Angehörigen sichern. Bei Enkeln, deren Eltern noch leben, übernehmen jedoch die Eltern die Versorgungsfunktion. Solange das Kind des Erblassers noch lebt, könne es weiterhin für die finanzielle Ausstattung seines Kindes, d.h. dem Enkel des Erblassers sorgen – und zwar unabhängig davon, ob er zivilrechtlich als vorverstorben gilt oder nicht. Die Versorgung der Enkel könne nur dann nicht gewährleistet werden, wenn ihre Eltern tatsächlich vorverstorben sind. Es entspreche damit dem Zweck der Norm, wenn das Gesetz hinsichtlich der Freibeträge eines Enkels an das tatsächliche Vorversterben und nicht an ein fiktives Vorversterben anknüpft. 

Bewertung und Ausblick
Das Urteil des BFH schafft für die Praxis Klarheit und führt noch einmal vor Augen, warum das Thema „Erbverzicht“ nur mit großer Sorgfalt angegangen werden sollte. Gerade im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge sollten neben den zivilrechtlichen auch die steuerlichen Auswirkungen in den Blick genommen werden, da nicht jede zivilrechtliche Konstruktion zu entsprechenden steuerlichen Vorteilen führt. Aufgrund der komplexen zivil- und steuerrechtlichen Folgen der verschiedenen Gestaltungsoptionen ist hier eine eingehende rechtliche und steuerliche Beratung unerlässlich.