• 21. Mai 2025
  • Arbeitsrecht

Wie können Arbeitgeber Ansprüche auf Annahmeverzugslohn abwehren? Aktuelle Rechtsprechung

Mit Urteilen vom 07.01.2025 sowie 15.01.2025 haben das Landesarbeitsgericht Köln und das Bundesarbeitsgericht zentrale Fragen zum Annahmeverzugslohn geklärt.

Der Annahmeverzugslohn ist eine Vergütung, die ein Arbeitnehmer nach § 615 S. 1 i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB beanspruchen kann, wenn der Arbeitgeber ihn trotz eines bestehenden Arbeitsverhältnisses nicht beschäftigt. Ein typischer Fall tritt nach einer unwirksamen Kündigung ein: Nimmt der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht an, gerät er gemäß §§ 293 ff. BGB in Annahmeverzug. In diesem Fall bleibt der Lohnanspruch grundsätzlich bestehen – es sei denn, der Arbeitnehmer verzichtet böswillig darauf, eine zumutbare anderweitige Erwerbstätigkeit aufzunehmen.

Die Entscheidungen geben Arbeitgebern wichtige Hinweise an die Hand, um Annahmeverzugslohnansprüche erfolgreich abzuwehren. Im Fokus stehen die Darlegungs- und Beweislast für böswillig unterlassenen anderweitigen Verdienst, der Umgang mit Scheinbewerbungen sowie der daraus resultierende Auskunftsanspruch des Arbeitgebers.

Sachverhalt vor dem LAG Köln

Der Kläger war seit 2015 als Berufskraftfahrer beschäftigt. Die beklagte Arbeitgeberin kündigte ihm mit Schreiben vom 27.07.2022 fristlos, hilfsweise fristgerecht. Das Arbeitsgericht Köln stellte in einem vorherigen Verfahren fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht beendet wurde. Der Kläger verlangte daraufhin Annahmeverzugslohn für den Zeitraum bis zu seiner Weiterbeschäftigung am 15.05.2023.

Die Beklagte verweigerte die Zahlung unter Verweis auf böswillig unterlassenen Verdienst gemäß § 11 Nr. 2 KSchG. Sie berief sich darauf, dass der Kläger zahlreiche Bewerbungen nur pro forma abgegeben habe und sich „Scheinbewerbungen“ nicht auf ernsthafte Jobangebote bezogen hätten. Zudem habe er zumutbare Stellenangebote im Fernverkehr oder als Fahrer von Gliederzügen abgelehnt.

Die Entscheidung des LAG Köln

Das LAG bestätigte die grundsätzliche Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung von Annahmeverzugslohn, stellte jedoch klar, dass ein Arbeitnehmer seinen Auskunftspflichten zu Bewerbungsbemühungen umfassend nachkommen muss.

Böswilliges Unterlassen einer anderweitigen Erwerbstätigkeit

Ein Arbeitnehmer unterlässt böswillig i.S.d. § 11 Nr. 2 KSchG anderweitigen Verdienst, wenn ihm ein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er während des Annahmeverzugs trotz Kenntnis aller objektiven Umstände vorsätzlich untätig bleibt und eine ihm nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter Beachtung des Grundrechts auf freie Arbeitsplatzwahl nach Art. 12 GG zumutbare anderweitige Arbeit nicht aufnimmt oder die Aufnahme bewusst verhindert. Die Unzumutbarkeit einer anderweitigen Arbeit kann sich unter verschiedenen Gesichtspunkten ergeben, sie kann etwa ihren Grund in der Person des Arbeitgebers, der Art der Arbeit oder den sonstigen Arbeitsbedingungen haben. Erforderlich für die Beurteilung der Böswilligkeit ist stets eine unter Bewertung aller Umstände des konkreten Falles vorzunehmende Gesamtabwägung der beiderseitigen Interessen (BAG, Urteil vom 29.03.2023 – 5 AZR 255/22).

Zumutbarkeit einer Beschäftigung

Vorliegend sei die Ablehnung eines Angebots als Fernfahrer nicht böswillig gewesen, da dies aufgrund der familiären Situation (Kleinkind, schulpflichtige Kinder) unzumutbar war. Der Arbeitnehmer sei im Rahmen der Prüfung des § 11 Nr. 2 KSchG nicht verpflichtet, sein komplettes Leben zugunsten einer neuen Tätigkeit als Fernfahrer umzustellen und seine Familie zu vernachlässigen, nur um dem Arbeitgeber, der rechtswidrig gekündigt hat, Annahmeverzugslohn zu ersparen. Auch die Ablehnung eines Angebots als Fahrer eines Gliederzugs sei nicht böswillig gewesen, da dies eine deutlich andere Fahrzeugklasse darstellt und spezielle Schulungen erfordert, die der Arbeitnehmer nicht besaß.

BAG zur Zumutbarkeit: Höhe des ALG 1 und sozialrechtliche Pflichten des Arbeitnehmers

Ergänzend hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 15.01.2025 (Az. 5 AZR 135/24) in einem weiteren Fall bestätigt, dass der Arbeitgeber grundsätzlich darlegen und beweisen muss, dass es zumutbare, geeignete Stellen gab, auf die der Arbeitnehmer sich hätte bewerben können. Ob der Arbeitnehmer böswillig gehandelt hat, ist anhand einer umfassenden Interessenabwägung festzustellen. So ist eine Beschäftigung dann nicht zumutbar und kann abgelehnt werden, wenn etwa das angebotene Nettoentgelt unter dem Niveau des Arbeitslosengelds 1 liegt. Darüber hinaus betonte das BAG, dass sozialrechtliche Handlungspflichten zwar bei der Auslegung eine Rolle spielen können, aber nicht schematisch in das Arbeitsverhältnis übertragen werden dürfen (z.B. Bewerbungsbemühungen zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit gemäß § 2 Abs. 5 SGB III). Auch die Ablehnung einer Änderungskündigung muss – je nach Umständen – kein böswilliges Verhalten darstellen. Die Arbeitnehmerin hatte in dem Fall eine Änderungskündigung ihres Arbeitgebers abgelehnt und hiergegen geklagt, wurde im weiteren Verlauf zusätzlich außerordentlich fristlos gekündigt. Damit erhielt die Arbeitgeberin das Angebot der geänderten Arbeitskonditionen nicht mehr aufrecht, sodass das BAG bereits deswegen darin keine zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit sah. 

BAG zu Vermittlungsvorschlägen durch die Agentur für Arbeit

Mit taggleichem Urteil des BAG (Az. 5 AZR 273/24) entschied das Gericht über einen Arbeitnehmer, der gegenüber der Agentur für Arbeit mitgeteilt hatte, an Vermittlungsvorschlägen kein Interesse zu haben. Er wolle bei seiner bisherigen Arbeitgeberin weiterarbeiten. Folglich übermittelte ihm die Agentur für Arbeit keine Angebote. Der Arbeitgeber trägt wie schon dargestellt die Darlegungs- und Beweislast für geeignete und zumutbare Beschäftigungsmöglichkeiten. Erfüllt er diese, so muss der Arbeitnehmer darlegen und ggf. beweisen, dass eine Bewerbung keinen Erfolg gehabt hätte. Diese Verteilung der Darlegungs- und Beweislast ändert sich aber, wenn der Arbeitnehmer selbst dafür sorgt, dass ihm die Agentur für Arbeit keine Vermittlungsvorschläge unterbreitet. Dies hatte das BAG im Februar 2024 klargestellt. Nun entschied das BAG allerdings, dass der Arbeitnehmer gegenüber er Agentur für Arbeit Vermittlungsangebote zwar nicht ohne Grund ablehnen darf, aber sehr wohl mit dem Hinweis darauf, dass er bei der bisherigen Arbeitgeberin weiterarbeiten wolle.

Indizien für Scheinbewerbungen

Das LAG Köln stellte in seinem Urteil vom 07.01.2025 fest, dass der Arbeitnehmer zudem dem Einwand des böswilligen Unterlassens einer anderweitigen Erwerbstätigkeit ausgesetzt ist, wenn Indizien vorliegen, dass er „Scheinbewerbungen“ abgegeben hat.

Nach Ansicht des Gerichts könne es rechtlich keinen Unterschied machen, ob jemand die Aufnahme anderer Arbeit durch schlichte Untätigkeit und mangelnde Bewerbungsbemühungen vereitelt oder sich zwar formal bewirbt, aber durch den Inhalt seiner Bewerbung direkt oder konkludent zum Ausdruck bringt, an einer Arbeitsaufnahme überhaupt nicht interessiert zu sein. So entspräche beispielsweise ein ungefragter Hinweis auf ein laufendes Gerichtsverfahren mit dem bisherigen Arbeitgeber schon vor einem Vorstellungsgespräch nicht dem Verhalten einer tatsächlich um eine Beschäftigung bemühten Person (BAG, Urteil vom 07.02.2024 – 5 AZR 177/23). Das Gericht sah vorliegend in der Rückmeldungsquote der potenziellen Arbeitgeber auf Bewerbungen des Arbeitnehmers ein Indiz (95 % der potenziellen Arbeitgeber hatten auf die insgesamt 65 Bewerbungen nicht geantwortet). Gibt es ausreichende Indizien, dass der Arbeitnehmer solche „Scheinbewerbungen“ abgegeben hat, muss er dem Arbeitgeber, von dem er Annahmeverzugslohn begehrt, auf Verlangen auch Auskunft über den Inhalt seiner Bewerbungen geben.

Auskunftsanspruch des Arbeitgebers

Die Darlegungs- und Beweislast für die Einwendung des § 11 Nr. 2 KSchG trägt der Arbeitgeber, der mit dem Ausspruch der unwirksamen Kündigung die Ursache für den Annahmeverzug gesetzt hat. Er genügt seiner primären Darlegungslast durch konkreten Vortrag, dass für den Arbeitnehmer im Verzugszeitraum „zumutbare“ und im Fall einer Bewerbung verwirklichbare Erwerbschancen bestanden. Der Arbeitnehmer hat sich nach § 138 Abs. 1, 2 ZPO dazu wahrheitsgemäß und vollständig zu erklären.

Liegen Indizien für Scheinbewerbungen vor, stehe dem Arbeitgeber jedoch ein Auskunftsanspruch über Form und Inhalt der abgegebenen Bewerbungen zu. Dieser Anspruch ergibt sich aus den Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis gemäß § 242 BGB. Dieser setzt im Einzelnen voraus: 

(1) das Vorliegen einer besonderen rechtlichen Beziehung, 

(2) die dem Grunde nach feststehende oder (im vertraglichen Bereich) zumindest wahrscheinliche Existenz eines Leistungsanspruchs des Auskunftsfordernden gegen den Anspruchsgegner, 

(3) die entschuldbare Ungewissheit des Auskunftsfordernden über Bestehen und Umfang seiner Rechte sowie 

(4) die Zumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den Anspruchsgegner. 

Schließlich dürfen (5) durch die Zuerkennung des Auskunftsanspruchs die allgemeinen Beweisgrundsätze nicht unterlaufen werden (BAG, Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19; ArbG Gera, Urteil vom 24.04.2024 – 3 Ca 1106/23).

Im vorliegenden Sachverhalt sei der Arbeitgeber auch in entschuldbarer Weise über Form und Inhalt der Bewerbungen des Arbeitnehmers im Ungewissen und könne sich die notwendigen Informationen nicht selbst auf zumutbare rechtmäßige Weise beschaffen. Insbesondere sei es nicht erfolgsversprechend, dass der Arbeitgeber bei den genannten Unternehmen nachfragt und die Bewerbungsunterlagen erbittet. Denn insoweit sei anzunehmen, dass diese Unternehmen in Hinblick auf die datenschutzrechtlichen Bestimmungen keine Auskunft erteilen.

Solange der Arbeitnehmer dieser Auskunftspflicht nicht nachkommt, könne der Arbeitgeber die Zahlung von Annahmeverzugslohn verweigern.

Nach erteilter Auskunft sei der Arbeitgeber erst in der Lage, zu prüfen, ob „Scheinbewerbungen“ abgegeben wurden. Sodann liegt jedoch noch am Arbeitgeber, diese Einwendung so substanziell zu begründen, dass sich der Arbeitnehmer im Wege abgestufter Darlegungs- und Beweislast hierzu einlassen kann (BAG, Urteil vom 27.05.2020 – 5 AZR 387/19).

Praxishinweise für Arbeitgeber

Die Entscheidungen der Gerichte verschaffen mehr Klarheit zur Abgrenzung zwischen berechtigten Annahmeverzugslohnansprüchen und böswilligem Unterlassen anderweitigen Verdienstes. Arbeitgeber sollten künftig besonders darauf achten, ob Bewerbungen tatsächlich ernsthaft erfolgt sind, und ihre Zurückbehaltungsrechte an Annahmeverzugslohn strategisch nutzen. Es empfiehlt sich daher, frühzeitig während eines Kündigungsschutzprozesses dem gekündigten Arbeitnehmer passende Stellenanzeigen mit Angaben zu Art und Inhalt der Tätigkeit, zum Arbeitsort und zur Lohnhöhe übersenden, auf die er sich bewerben kann. Das voraussichtliche Gehalt für die übersandten Positionen muss mehr als das ALG 1 des gekündigten Arbeitnehmers betragen. Arbeitgeber sollten vom Arbeitnehmer eine detaillierte Auskunft zu Bewerbungsbemühungen und dem Inhalt der Bewerbungen verlangen. Sofern der Arbeitnehmer Annahmeverzugslohn geltend macht, sollten Arbeitgeber strategisch und sorgfältig prüfen, ob dem Arbeitnehmer böswilliges Unterlassen, insbesondere Scheinbewerbungen, vorzuwerfen sind und sich eine gerichtliche Klärung lohnt.

Weiterführende Links: 

LAG Köln v. 07.01.2025 - 7 SLa 78/24

BAG v. 15.01.2025 - 5 AZR 135/24

BAG v. 15.01.2025 – 6 AZR 273/24

BAG v. 07.02.2024 – 5 AZR 177/23

BAG v. 29.03.2023 - 5 AZR 255/22

BAG v. 07.03.2023 - 5 AZR 177/23

BAG v. 27.05.2020 - 5 AZR 387/19

ArbG Gera v. 24.04.2024 – 3 Ca 1106/23

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