• 27. Mai 2025
  • Arbeitsrecht

Kündigungsschutz für Schwangere: Frist läuft erst nach Arztbesuch

Am 3. April 2025 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) ein bedeutendes Urteil zum Sonderkündigungsschutz Schwangerer gefällt (Az. 2 AZR 156/24) und Rechtssicherheit im Hinblick auf ihren erweiterten Schutz geschaffen.

Sachverhalt

Die Klägerin war seit Dezember 2012 bei der Beklagten beschäftigt. Am 13. Mai 2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 2022. Der Klägerin ging die Kündigung am 14. Mai 2022 zu. Am 29. Mai 2022 führte die Klägerin einen Schwangerschaftstest durch, der positiv ausfiel. Sie informierte die Beklagte noch am selben Tag per E-Mail und bemühte sich umgehend um einen Termin bei ihrer Frauenärztin, den sie erst am 17. Juni 2022 erhielt. Am 13. Juni 2022 erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage und beantragte die nachträgliche Zulassung der Klage. Am 21. Juni 2022 reichte sie ein ärztliches Zeugnis ein, das ihre Schwangerschaft bestätigte und als bereits bei Kündigungserklärung bestehend attestiert.

Entscheidung des Gerichts

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied im Einklang mit den vorherigen Instanzen zugunsten der Klägerin, dass die Kündigung wegen Verstoßes gegen § 17 Absatz 1 Satz 1 MuSchG unwirksam sei und nicht nach §§ 4 Satz 1, 7 KSchG als wirksam fingiert würde. Zwar sei die Frist des § 4 Satz 1 KSchG zur Erhebung der Kündigungsschutzklage mit Zugang der Kündigung angelaufen und bei Klageerhebung bereits abgelaufen gewesen. Auch finde § 4 Satz 4 KSchG keine Anwendung, da die Beklagte bei Ausspruch der Kündigung nicht von der klägerischen Schwangerschaft wusste. Die Klage habe jedoch nach § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zugelassen werden müssen: 

Erlange eine Arbeitnehmerin schuldlos erst nach Ablauf der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG Kenntnis von einer bei Zugang der Kündigung bereits bestehenden Schwangerschaft, sei ihre verspätet erhobene Kündigungsschutzklage auf ihren form- und fristgerechten Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 KSchG nachträglich zuzulassen. Entgegen der Position der Beklagte, nahm das Bundesarbeitsgericht diese maßgebliche schuldlose Kenntniserlangung nicht schon an, wenn ein positiver Schwangerschaftstest eine Schwangerschaft indizierte. Denn die hier erforderlich Kenntnis müsse Kenntnis der Schwangerschaft zur Zeit der Kündigung umfassen. Diese Kenntnis läge aber regelmäßig erst vor, wenn die Arbeitnehmerin ein entsprechendes ärztliches Zeugnis über die Schwangerschaft und ihren prognostizierten Beginn erhalten habe. 

Aus den Ausführungen des BAG ergibt sich, dass die schuldlose Kenntniserlangung auch nicht dadurch zu einem früheren Zeitpunkt als schuldhaft fingiert werde, dass die Arbeitnehmerin einen Arzttermin erst mit gewissem zeitliche Versatz erlangen kann. Eine Arbeitnehmerin habe nach einem positiven Schwangerschaftstest die Obliegenheit, sich unverzüglich um Termin in der Gynäkologie zu bemühen. Bemühe sie sich umgehend nach Indikation durch einen Schwangerschaftstest, eine Feststellung der Schwangerschaft durch einen Arzt vornehmen zu lassen, und nehme sodann den ersten verfügbaren Termin wahr, genüge dies aber der ihr auferlegten Eile.

Die Frist für die nachträgliche Zulassung nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG beginne dann mit der entsprechenden Kenntnis erst im Anschluss an die ärztliche Feststellung des Schwangerschaftsbeginns und sei von der Klägerin gewahrt worden. Es seit laut BAG dabei auch unschädlich, dass zur Zeit der Klageergebung das Hindernis noch nicht i.S.v. § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG durch Erteilung der ärztlichen Feststellung behoben war. Der Antrag auf nachträgliche Klagezulassung kann bereits „vorfristig“ wirksam angebracht und muss nicht nach Fristanlauf wiederholt werden. 

Inhaltlich scheitere die Kündigung sodann am Verbot des § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG. Die Klägerin habe der Beklagten zwar nicht gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung die Schwangerschaft mitgeteilt, diese Mitteilung allerdings nach Ablauf der Zweiwochenfrist unverzüglich nachgeholt, ohne dass die Überschreitung der Frist auf einem von ihr zu vertretenden Grund beruhte, § 17 Abs. 1 Satz 2 MuSchG. Auch hier gelte, dass die Klägerin erst mit dem frühestmöglichen Arzttermin am 17. Juni 2022 Kenntnis vom Beginn der Schwangerschaft hatte und die die Fristüberschreitung somit nicht auf einem von ihr zu vertretenden Grund beruhe. Die Nachholung sei sogar früher als nötig und damit unverzüglich erfolgt. 

Besonderheiten des Falls

Mit dieser Entscheidung konkretisiert das BAG die maßgebliche Kenntnis der Schwangerschaft zeitlich klarer. Der Arbeitnehmerin wird zugestanden, in einer zumeist emotional geprägte Anfangszeit einer Schwangerschaft erst eine sachkundige Feststellung der Schwangerschaft einzuholen, bevor weitere Schritte von ihr verlangt werden. Nur nach ärztlicher Feststellung einer Schwangerschaft und auch des Zeitpunkts ihres Beginns kann die Schwangere beurteilen, ob der gesetzliche Sonderkündigungsschutz zur Zeit der Kündigung griff und entsprechend ein Vorgehen im Wege der Kündigungsschutzklage Erfolg verspricht.  

Für den Arbeitgeber verlängert diese zeitliche Definition der Kenntnis den Zeitraum, in dem noch mit einer Verteidigung gegen eine Kündigung aufgrund bestehenden Sonderkündigungsschutzes gerechnet werden muss. 

Europäischer Einfluss

Die von Europäischen Gerichtshof (EuGH) in der Sache „Haus Jacobus“ (Az. C 284/23) zuletzt aufgezeigte Fraktur zwischen der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 KSchG und der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG, die zu einer möglich Ungleichbehandlung der Rechtsschutzsuchenden führen kann, wurde im hier dargestellten Fall nicht relevant. Die Klägerin hatte sogar schon vor Beginn der Wiedereinsetzungsfrist Klage erhoben. 

Das BAG begegnete den Kritikpunkten des EuGH jedoch insoweit, als es mehr Rechtssicherheit und effektiveren Rechtsschutz durch eine klare Definition der fristauslösenden sicheren Kenntnis der Schwangerschaft schuf. Auch betont das BAG, dass die vermeintlich kurze Zweiwochenfrist für den Antrag auf nachträgliche Klagezulassung erst frühestens nach der dreiwöchigen Klagefrist zu laufen beginne, erstere also auch nicht als unrechtmäßig kurz angesehen werden müsse. Zudem erhöhe sich die der Arbeitnehmerin zur Verfügung stehende Überlegungszeit weiter, wenn sie vorher bereits Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Schwangerschaft „an sich“ hat. Sie habe dann schon vor Erhalt des ärztlichen Zeugnisses über den Beginn der Schwangerschaft Gelegenheit, sich beraten zu lassen und – wie die hiesige Klägerin – gegebenenfalls vorsorglich eine Kündigungsschutzklage nebst einem Antrag auf deren nachträgliche Zulassung beim Arbeitsgericht einzureichen. 

Praxistipps für Arbeitgeber

Auch die unbekannte Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin oder ein längerer, seit der Kündigung vergangener Zeitraum bedeuten nicht, dass Sonderkündigungsschutz nach § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG die erklärte Kündigung nicht mehr unwirksam machen kann. Mit der Entscheidung entfällt aber nicht die Pflicht der Arbeitnehmerin, über eine auch erst nachträglich bekannt werdende Schwangerschaft zu informieren. So kann der Arbeitgeber ggf. auch nach Kenntniserlangung noch die erforderlichen Schritte zur Kündigung einer Schwangeren unternehmen und mitunter der Kündigung wirksam gestalten.

Von einem erhöhten Missbrauchsrisiko ist durch die höchstrichterlichen Klarstellungen nicht auszugehen. Die ärztlichen Möglichkeiten, den Beginn einer Schwangerschaft zu ermitteln, werden realistisch auch für den kündigenden Arbeitgeber ergeben, ob Sonderkündigungsschutz schon zur Zeit der Kündigungserklärung bestand und so grundsätzlich kein Erschleichen von Sonderkündigungsschutz ermöglichen.

Was schließlich in unzumutbaren Beschäftigungssituationen übrig bleibt und nicht durch § 17 Abs. 1 Satz 1 MuSchG unterbunden wird, ist die außerordentliche Kündigung einer Schwangeren nach Zustimmung der zuständigen Behörde. Auch der Weg über eine Aufhebungsvereinbarung ist zulässig, wenn die Zusammenarbeit perspektivisch nicht mehr förderlich erscheint, wenngleich selten wahrscheinlich. 

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