- 04. Mai 2022
- Unternehmensteuerrecht
Niedersächsisches FG hält pauschale Abgeltungssteuer für verfassungswidrig – das Bundesverfassungsgericht ist gefordert
Seit dem 01.01.2009 werden Einkünfte aus Kapitalvermögen, also z. B. Zinsen, Dividenden und realisierte Veräußerungsergebnisse aus Wertpapieren, in Deutschland mit einem Steuersatz von 25 % zzgl. 5,5 % Solidaritätszuschlag und ggf. Kirchensteuer versteuert. In der Regel wird die Steuer von den inländischen Kreditinstituten bei Zufluss der Kapitalerträge automatisch einbehalten und an den Fiskus abgeführt, wodurch die Besteuerung des Kapitalertrags abgegolten ist. Daher auch der Name Abgeltungssteuer.
Die Abgeltungssteuer wurde von der damaligen Regierungskoalition aus CDU und SPD beschlossen, um den Finanzplatz Deutschland attraktiver zu machen und die Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Der verminderte Steuersatz von 25 % gegenüber dem tariflichen Steuersatz von maximal 45 % machte Steuerhinterziehung, bei steigender Gefahr entdeckt und bestraft zu werden, weniger attraktiv und sollte folglich den Anlegern einen Anreiz geben, ihr Geld in Deutschland zu versteuern. Flankiert wurden die Maßnahmen durch die Einführung einer Quellensteuer innerhalb Europas (ZIV-Quellensteuer nach Zinsinformationsverordnung). Der Vorteil des geringeren Steuersatzes für Kapitaleinkünfte wurde jedoch teilweise dadurch verringert, dass mit der Abgeltungssteuer auch ein Abzugsverbot für Werbungskosten zu den Einkünften aus Kapitalvermögen eingeführt wurde.
Steigende Ausgaben des Staates und wegbrechende Steuereinnahmen in der Corona-Krise seit 2020 führen dazu, dass auch der niedrige Abgeltungssteuersatz politisch thematisiert wird. Vor der Bundestagswahl 2021 wurden Ideen formuliert den Steuersatz zu erhöhen oder gleich ganz abzuschaffen. Die aktuelle Regierung aus SPD, FDP und Grünen hat bisher keine entsprechende Gesetzesänderung formuliert.
Um so bemerkenswerter ist es, dass der 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts die Vorschriften über die Abgeltungssteuer in § 32d Abs. 1 EStG i.V.m. § 43 Abs. 5 EStG für mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar hält und mit Beschluss vom 18.03.2022 (7 K 120/21) dem Bundesverfassungsgericht (i.F. BVerfG) die Frage für die Jahre 2013, 2015 und 2016 zur Prüfung vorgelegt hat.
Das ursprüngliche Rechtsverfahren des Beschlusses thematisiert, knapp umrissen, zu Unrecht zugerechnete Provisionszahlungen und die fehlende Berücksichtigung eines Sparer-Pauschbetrags. Der 7. Senat folgt zwar der Auffassung des Klägers, sieht dennoch (derzeit) keinen Erfolg der Klage, „da die gegenüber dem Kläger festgesetzte Steuer auf die Kapitaleinkünfte nach rechtlicher Auffassung des 7. Senats zu niedrig ist.“
Der 7. Senat sieht die Gesetzeslage als zutreffend angewendet an, erkennt aber eine „Ungleichbehandlung zwischen Beziehern privater Kapitaleinkünfte und übrigen Steuerpflichtigen“, da für Erstere der Abgeltungssteuersatz von 25 % und für Letztere der individuelle Steuersatz von bis zu 45 % anzuwenden ist. Nach Ansicht des 7. Senats genügen die in den Gesetzesmaterialien genannten Rechtfertigungsgründe den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
Der vollständige Vorlagebeschluss des 7. Senats wurde zwischenzeitlich am 27.04.2022 veröffentlicht. Der Senat ist davon überzeugt, dass die Abgeltungssteuer gegen die in Artikel 3 Abs. 1 GG gleichheitsrechtlich verankerte Vorgabe der Gleichbehandlung aller Einkunftsarten und einer gleichmäßigen Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit verstößt. Der Senat führt in seinem Beschluss auf 55 Seiten und in 508 Randziffern seine Beurteilung sehr detailliert aus, insbesondere ab Randziffer 400 ff. „C. Verfassungsrechtliche Beurteilung des vorlegenden Gerichts“. Ausführungen des BVerfG gibt es noch nicht.
Es empfiehlt sich, den vorgenannten Beschluss vom 18.03.2022 und die damit einhergehende mögliche Folge, nämlich der Besteuerung von Kapitaleinkünften mit einem höherem Steuersatz als 25 %, bereits jetzt bei Investitionsplanungen und –entscheidungen im Bereich der Kapitaleinkünfte zu bedenken. Insbesondere werden sich auch Privatpersonen Gedanken machen müssen, die eine Kapitalgesellschaft zur Vermögensverwaltung nutzen, ob diese Konstellation weiterhin vorteilhaft ist, wenn Auskehrungen aus der Kapitalgesellschaft an sie ggf. künftig nicht mehr pauschal mit 25 % versteuert werden könnten. Ob und inwieweit laufende gerichtliche Rechtsverfahren, die auch einen erweiterten Bezug zu Kapitaleinkünften und der Abgeltungssteuer haben, vom Vorlagebeschluss und einer ausstehenden Äußerung des BVerfG tangiert werden, bleibt abzuwarten.
Weiterführende Links: